Samstag, 31. Dezember 2011

Silvester-Grinch



Gestern Abend war es wieder soweit. Ich bin auf der Couch eingeschlafen – ein Vergnügen, das nicht lange währte, da vor meinem Wohnzimmerfenster nur wenig später eine Bombe explodierte. Er hat wieder begonnen, der Krieg. Fenster und Türen geschlossen halten. Und am liebsten würde man doch nicht nur Hund und Katz im Keller einsperren, sondern sich selbst gleich mit. Ich hasse Silvester! Genau genommen, hasse ich Feuerwerk, noch genauer Böller, Knaller oder wie die auch immer heißen. Die Freude und Faszination daran hat sich mir bisher nicht erschlossen. Und jedes Jahr schießt mir auch wieder das Bild von der armen Alster-Ente in den Kopf, die im Jahr 2000 gegen 22:00 Uhr bereits um ihr Leben schwamm, weil sie von allen Seiten mit Raketen beschossen oder mit Böllern beworfen wurde. Zu der Uhrzeit hat man oft schon das Gefühl, es gäbe keine Steigerung mehr, es sei denn, um 24:00 Uhr erfolgt der Atomschlag, den sich ja ernsthaft niemand wünschen kann.
Viel Geld, das sich zur Freude mancher in Luft, Rauch und Gestank auflöst, Müllberge hinterlässt, einfach verpufft und manchem Mensch und Tier Angst einjagt, klingt wie ein Bombenangriff und hier und da auch ähnliche Opfer fordert, Gliedmaßen verbrennt und abreißt, Leben kostet. Ich dachte immer, ich hasse Silvester, seit ich aufgrund meines silvestermuffeligen Freundes nichts erwähnenswertes an diesem Datum mehr unternommen habe, aber ich glaube, das ist ein Irrtum, denn davor war ich an Silvester lediglich immer dem Ereignis angemessen betrunken, um es mit Spaß zu tolerieren (oder erforderlich beruhigt, es zu ertragen) UND mir selbst glaubhaft zu versichern, dass das alles total toll ist. Aber nun weiß ich: Ich bin der Silvester-Grinch! Es ist höchste Zeit nun in meine Berghöhle zu kriechen.


Dienstag, 13. Dezember 2011

Einfach mal die Klappe halten

Es ist gerade zwei Wochen her, dass ich gekündigt habe und schon kennen mich meine neuen Kollegen besser als ich sie. Aber eher so wie bei Stille Post. Das ist vielleicht für Kinder lustig. Mir ist das Lachen vergangen. In dem Personalgespräch, welches meiner Ansicht nach vertraulich ist - sonst könnte ich meine Personalakte ja auch an das Schwarze Brett in der Kaufhalle nageln - gab ich bekannt, zu welcher Firma XY ich wechseln werde. Am nächsten Tag wussten es eigentlich alle Kollegen. Nun ist es so, dass wir mit Firma XY regelmäßig zu tun haben, was die Chefin zum Anlass nahm, sich während eines Telefonates beiläufig bei einem Mitarbeiter von XY darüber zu beschweren, dass man mich abgeworben hätte, was nur bedingt richtig ist und der Mitarbeiter entsprechend ahnungslos, denn in der Niederlassung, in der sie anrief, fange ich gar nicht an. Da alle Mitarbeiter der Firma XY allerdings eine gemeinsame Weihnachtsfeier haben, wurde dies gleich heiß diskutiert und es wurden Vermutungen laut, ich wisse selbst gar nicht, wo ich denn nun meinen neuen Job antreten werde. Ja, so sehe ich aus.
Warum können Menschen nichts für sich behalten? Warum muss alles die Runde machen? So wie mein Foto, welches bereits auch schon dem ein oder anderen Mitarbeiter von XY per Mail zuging, ohne dass ich gefragt wurde und nur damit man mich dann auf dem Flur ab Januar auch erkennen wird. Vielleicht will ich gar nicht erkannt werden und erst mal in Ruhe da anfangen, ohne schon einen Ballast mit mir rumzuschleppen, dass jeder, aber auch wirklich jeder bei XY, schon irgendetwas von mir gehört hat! Gefährliches Halbwissen.
Was das Foto betrifft, so ist da nicht mein jetziger Arbeitgeber schuld, sondern dies ist dem Überschwang der Gefühle meiner Freundin geschuldet, die es gut meinte und ihren ehemaligen Anleiter aus dem Praktikum, der ab Januar ein Stockwerk über mir sitzen wird, schon mal visuell vorbereitete. Wahrscheinlich erkennt er mich nun, ich ihn aber nicht. Ein wildfremder Mann hat ein Foto von mir. Ich habe ihn einmal flüchtig gesehen - im Studentenwohnheim, als ich aus der Dusche kam und ein Handtuch um den Kopf gewickelt hatte. Um nicht noch mehr Missverständnisse entstehen zu lassen: Der Rest von mir war auch bedeckt.
Hamburg ist ein Dorf und so ist es auch nicht verwunderlich, dass ich schon weiß, dass mein neuer Bürostuhl geliefert wurde.

Freitag, 9. Dezember 2011

Bewerbung um die Stelle als Langweilerin

Hiermit bewerbe ich mich bei Ihnen um den Posten als langweiligste Frau der Welt. Niemand sonst will ihn – ich bin ganz scharf drauf! Folgend möchte ich Ihnen erläutern, warum ich die Richtige für diesen Job bin.

Der ständige Wettbewerb ist mir zu anstrengend; mal davon abgesehen, dass ich ihn für Zeitverschwendung und Umweltverschmutzung halte. Ich will eigentlich nur unbeobachtet meine Ruhe haben und mir selbst genug sein. Ich bin nichts Besonderes und mache auch nichts Besonderes, weder aus Spaß an der Freude noch um mich selbst zu finden oder um etwas Besonderes zu werden. Mein höchstes Bestreben ist gewöhnlich zu sein, mein kleines Leben zu leben. Mein Alltag ist mein Abenteuer und der besteht hauptsächlich aus meiner Arbeit (ich arbeite gern) und ab und zu etwas Hausarbeit, bedingt diszipliniert. Ich bin nett, hilfsbereit und hab ein Herz für Menschen, lach mich gerne schlapp und trinke Wein. Ich liebe den Nachbarklatsch im Treppenhaus, mit den Omis, die hier in diesem Haus schon seit 1957 wohnen. Ich selbst stelle keine Rekorde auf – höchstens in Langsamkeit, denn ich brauche oft mehr als eine Woche, um Die Zeit zu lesen und in der Zeit gibt es längst die nächste davon. Ich raste vor Freude aus, wenn ein Eichhörnchen meinen Weg kreuzt und ich fange an zu heulen, wenn mir jemand erzählt, dass eine Oma überfallen wurde, gleich nachdem sie das Geld für die Beerdigung ihres Mannes von der Sparkasse abgeholt hat.

Regelmäßig finden meine Hobbies (montags Yoga und donnerstags Chor) ohne mich statt. Ich singe dafür beim Abwasch in der Küche und tanze ab und zu im Wohnzimmer.

Meine Kontakte sind überschaubar, aber erfreulich. Ich will eines Tages eine stinknormale Familie gründen. Meine Kinder sind richtige Kinder, die spielen dürfen und sich dreckig machen. Wir fahren auch in den Urlaub. Mein Mann ist ebenfalls durchschnittlich, für mich allerdings besonders. Ich behalte auch diesen einen Mann, denn dauerndes Ver- und Entlieben ist mir zu aufregend.

Mir wäre es möglich, meine ganze Energie in den Langweilerin-Job zu stecken, denn ich laufe nicht Gefahr mit anderen Kollegen in lange arbeitsablenkende Gespräche über die Kardashians oder andere TV-Katastrophen zu versacken, denn ich weiß in der Regel nicht, wer oder was die oder das sind.

Sollte ich Ihr Interesse geweckt haben, rufen Sie mich gern an. Aber bitte vor der Tagesschau. Danach sind Anrufe nur zu entschuldigen, wenn es sich um wirkliche Notfälle handelt. Und außerdem geh ich früh schlafen.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Nein to Five

So, ich sage ab sofort Nein to Five; ich mein, ich sage NEIN to nine to five. Ab sofort bin ich auf der Suche nach mehr Spaß an der Freude - mindestens so wie Pippi Langstrumpf! Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. Und ich freu mich! Ich freu mich, auch wenn die Rentenversicherung mich gerade angemahnt hat, weil ich meiner Mitwirkungspflicht nicht nachkomme; und auch, wenn der Weg zum Spunk steinig ist – Spunk, von dem Pippi Langstrumpf ganz viel hat und den ich auch will. Und ich freu mich auch, wenn der Weg zum Spunk über die Kündigung führt. Die habe ich ja nun hinter mir. Kaum zu glauben, was diese für eine Lawine ausgelöst hat! Zumindest emotional sei es mir daher erlaubt, mich vom Zug überrollt zu fühlen. Nach drei Jahren Betriebszugehörigkeit ereilte die Kollegen der totale Schock, tiefe Traurigkeit sowie stellt sich für viele die Frage nach der eigenen Position – kurzum, ich war sogleich Thema der aktuellen Supervision und ohne mich geht nichts, es sei denn den Bach runter. Also, hätte ich das erstens vorher gewusst und eine entsprechende Behandlung erfahren, wäre ich vielleicht geblieben, denn in der Tat: Ich WAR drei Jahre lang der Verein… und liebte ihn; ABER zweitens finde ich es erschreckend und befremdlich, die Chefin in Tränen ausbrechen zu sehen und meine Kündigung zu einem solchen Thema zu machen, weil ihr selbst scheinbar nun alle Felle davon schwimmen. Ist das auch Anlass zur Freude? Oder soll ich mich einfach darüber freuen, dass der Absprung kurz bevor steht? DA STIMMT DOCH WAS NICHT!! Schließlich bin ich nicht Thomas Gottschalk, der soeben nach gefühlten fünfzig Jahren die Moderation von Wetten dass…? niedergelegt hat. Da fehlt der Spunk. Uns, ihnen oder euch fehlt der Spunk. Da muss ich weg, auch wenn’s schwer fällt, denn ich will mich freuen.

Ich will mich darüber freuen, dass meine Schwester sich als verliebtes Eichhörnchen bezeichnet, ich einen neuen Job antrete, der Weihnachtsmann bald kommt und ich heute die Hälfte des Abwaschs geschafft habe, der seit einer Woche in der Küche gammelt. Ich will mich auch darüber freuen, dass die Familienplanung sich nicht selbstständig gemacht hat, und dass ich eines Tages die allerschönste Frau der Welt sein werde – weil die einzige, die der plastischen Chirurgie nicht zum Opfer gefallen ist. Und das ist noch mehr Grund zur Freude: Somit bin ich auch kein Sondermüll bzw. Teile von mir werden kein Sondermüll. Ich freu mich jetzt schon darüber, dass die Glühweinsaison eröffnet ist (obwohl diese zumindest gefühlt schon im Sommer hätte eröffnet werden können) und ich freu mich, dass das Ecstasy-Opfer von gegenüber dieses Jahr von seiner üblichen Weihnachtsdeko Abstand genommen und stattdessen einen nicht flackernden Lichthirsch installiert hat – ich wette, er hat die letzten Jahre die Musik zum Rhythmus gehört, den der hässliche Leuchtstern vorgegeben hat, indem er mit 320 Blinks pro Minute die Farbe wechselte.

Und am meisten freu ich mich darüber, dass ich nun Zeit habe, mich freuen zu können. Nein to nine to five (…9:00 a.m. – 5:00 a.m.)!

Samstag, 3. Dezember 2011

Warum ist die Banane krumm?

Warum werden immer die Lieder im Radio durch Verkehrsnachrichten unterbrochen, auf die ich sehnlichst gewartet habe und die ich am allerliebsten hören will? Warum sind ModeratorInnen im Morgenprogramm die lautesten und nervigsten überhaupt? Warum muss ich immer während der Filme auf die Toilette, die nicht durch Werbepausen unterbrochen werden? Aus Schaden wird man klug – Warum überzeugt mich die Menschheit täglich vom Gegenteil? Warum war die Super Nanny noch nie bei meinen Nachbarn, die abends ihr Kind in den Schlaf schreien? Warum kommt mein Freund immer zu spät; vergisst meine Schwester alles? Warum hat niemand Zeit, wenn ich welche habe? Warum habe ich keine, wenn sie Zeit haben? Warum lässt die Antwort auf sich warten, wenn man sie erwartet? Warum kommt es immer anders als man denkt? Warum wohnt der Elefant in meinem Treppenhaus? Warum sitzt vor mir immer der größte Mensch im Kino und hinter mir der mit dem Schnupfen? Warum laufen die besten Filme nachts, wenn ich die Augen nicht mehr aufhalten kann? Warum klingeln die Wecker montags noch früher als an anderen Tagen? Warum ist am Ende des Geldes immer noch so viel Monat übrig? Warum bestellen die Leute im Fernsehen immer etwas im Restaurant, müssen aber schon wieder los, noch bevor das Essen überhaupt serviert wird? Warum ist immer Messe in der Stadt, wenn man ein Hotelzimmer braucht? Warum fangen Nachbarn gern um 20:15 Uhr an Regale zu befestigen oder Bauvorhaben durchzuführen? Warum kommt die Betriebskostenabrechnung jedes Jahr kurz vor Weihnachten, wenn ich mein Geld für Geschenke brauche? Warum ist die Banane krumm? Warum klingelt es immer an der Tür, wenn ich noch nackt bin; klingelt das Telefon, wenn ich die Hände im Brotteig vergraben habe? Warum singen Männer im Radio die schönsten Liebeslieder der Welt und der eigene Mann zu Hause versteht überhaupt nichts von Romantik? Warum gibt es große Gefühle nur im Film und nicht im visuellen Direktkontakt? Und wann wird’s mal wieder richtig Sommer?

Mittwoch, 16. November 2011

MTV-Oma

In meinem Alter hatte meine Mutter bereits zwei Kinder, die schulpflichtig waren. Ich bin immer noch beruflich und im Leben orientierungslos, was mir gerade so gar nichts ausmacht. Aber anderen macht dies komischerweise ungemein zu schaffen. Oder ist es wirklich komisch und irgendwie auch schräg, dass ich auf Konzerten noch mal Dreizehn werde und auch dementsprechend herumschreie, wenn die Protagonisten endlich die Bühne betreten oder mir ein Lied besonders gefällt oder ich einfach vor Glück innerlich ausraste? Ich habe richtig Panik vor dem Tag, an dem dies alles zu Ende sein soll. Irgendwann bin ich dafür vielleicht wirklich zu alt, aber andererseits fühl ich mich auch noch zu jung für den Typen, der den Biber erschlagen hat, ihn blond färbte und das Tier nun auf dem Kopf trägt, während er breit grinsend volkstümliche Musiksendungen moderiert, obwohl sich mir Joko und Klaas auch nicht wirklich erschließen, die scheinbar nun für Jugend und Coolness stehen. Ich komme da eher aus der Kavka-Generation (also known as MTV-Opa), in der Musikfernsehen noch alles bedeutete, und als auf Musiksendern noch Musik lief. Vielleicht bin ich zur MTV-Oma mutiert?! Ist das noch tragbar? Auffällig ist jedenfalls, dass ich zwar pubertär ausraste, die um mich herumstehenden aber eher nicht, teilweise schon genervt zugucken und selber eher nen Stock im Arsch haben, denn wir sind hier ja nicht bei Justin Bieber – zuletzt gemerkt bei Take That (deutlich ruhiger als früher). Ich war wohl die einzige, die aus lauter Spaß an der Freude fast einen Herzanfall erlitt, alle anderen eher aus Altersgründen – gleiches ist mir schon bei Depeche Mode und diversen anderen passiert. Bin ich berufsjugendlich? Ach, und wenn schon. Es gibt blödere Berufe. Berufswehleidige, zum Beispiel – dann hätte ich n echtes Problem! 30 is the new 20 – Rock on!

Donnerstag, 10. November 2011

Aufhören!!!

Ich mag mich ja irren, aber waren die Scorpions nicht gerade auf Abschiedstournee? Und was mussten meine entzündeten Augen heute Mittag sehen? Die Werbung für die Tour der Scorpions 2012. Es geht also weiter. Aufhören, wenn es am schönsten ist – scheinbar eine unlösbare Aufgabe, zumindest, für manch Rockstar oder Schlagersänger. Wollten nicht auch schon Howard Carpendale und Marius Müller-Westernhagen aufhören? Und die Rolling Stones? Aber sobald die Abschiedstournee und das allerletzte Album dann ausverkauft sind, findet sofort das Comeback statt. Ich glaube, Comeback ist mein Hasswort des Jahrzehnts. Wer schon alles wieder aus dem Loch gekrochen ist – verziehen habe ich es nur Take That, aber das hat pubertäre Gründe.
Es gibt ja Leute, die erst gar nicht aufhören (können). Johannes Heesters, zum Beispiel. Als ich ihn neulich im Fernsehen sah, hatte ich eigentlich nur Mitleid, und als er nicht von der Bühne gehen wollte, klang das Lachen des Publikums auch eher wie Auslachen, anstelle von Mitlachen. So richtig zum Lachen war mir jedenfalls nicht zumute, eher zum Heulen, weil nicht mal seine Frau es schaffte, ihn von der Bühne zu räumen. Und mehr und mehr entsteht der Eindruck, dass er gar nicht in der Lage ist, die Entscheidung zum Aufhören zu treffen, genauso wenig, wie er sich mittlerweile Texte merken kann, die seine neben ihm stehende Frau auf der Bühne laut vorsagen muss. Hat das noch was mit in Würde altern zu tun? Wenn das so weiter geht, werden wir zukünftig vielleicht doch das ein oder andere Ableben live miterleben. Aber wer will denn das? Das wollen wir doch genauso wenig, wie die schmerzliche Einsicht, dass auch Michael Schumacher Letzter in der Formel 1 werden kann.
Warum das alles? Hat man im Leben versäumt, andere Aufgaben und Ziele zu finden, so dass Aufhören gar nicht möglich ist, weil Aufhören dann Leere bedeutet? Aber warum nicht einfach was Neues finden? Es beim Aufhören belassen? Einsehen, dass alles endlich ist? Dann hätte der beste Film der Welt auch nicht das Schicksal erlitten, für das nun geworben wird: Er ist zum Musical verwurstet worden! Sorry, Hape, ich habe dich immer geliebt, aber dafür gibt es wirklich kein Pardon!

Montag, 7. November 2011

Im Fieberwahn und flügellahm

Ein selbstbestimmtes Leben ist für Sie Voraussetzung, sich eins mit sich zu fühlen. Das heißt nicht, zufrieden zu sein. Zufriedenheit klingt nach Stagnation und Passivität - denen weichen Sie mit aller Kraft aus. Unter Lilith und Uranus verspüren Sie die Lust, verrückte Dinge zu tun, Erwartungen zu durchbrechen, und wollen neue Lebensmodelle testen... (BRIGITTE, Heft 23, 19.10.2011)

Danke, Brigitte. Danke, Arztbesuch, denn der hat mir heute zu dieser Erkenntnis verholfen, als ich Stunden im Wartezimmer verbrachte und u. a. mein Horoskop las. Ich wusste doch immer, dass ich für ordinäre Erwerbsarbeit nicht geeignet bin. Dumm nur, dass mein Leben eigentlich nur aus Erwerbsarbeit besteht und ich mittlerweile ohne kaum etwas mit mir anfangen kann. Dank des Arztbesuches muss ich das aber nun, denn ich bin krankgeschrieben. Und weil ich immer eine Aufgabe brauche, mache ich heute Feldforschung: Ich führe heute einfach mal das Leben der Menschen, die ich sonst im beruflichen Kontext betreue. Den ersten Fehler in diesem neuen Leben hab ich allerdings schon gemacht, als ich heute Morgen um halb Sieben aufgestanden bin – das ist Bettzeit. Aber gut, ab jetzt. Als ich von Arzt und Apotheke zurück bin, ist es Zwölf. Was wird um Zwölf im Fernsehen gezeigt? Da ich keine Fernsehzeitung besitze, stürze ich mich unvorbereitet ins Geschehen, und wenn ich nicht schon Fieber hätte, dann würde es jetzt ausbrechen, denn ich werde mit der Sensation des Tages konfrontiert: Die Entstehung der längsten Wurst der Welt – und das alles im Rahmen einer Art von Mittagsmagazin im Privatfernsehen. Das sind also die Sendungen, von denen mir andere sonst immer nur erzählen. Ich wünschte, es würde der Postbote an der Tür klingeln oder ein paar Halloween-Kinder, wie am letzten Montagabend, um Süßes zu erbetteln, obwohl ich nichts im Hause habe. Aber noch saurer kann es ja nicht werden! Die Erprobung neuer Lebensmodelle hab ich mir irgendwie entspannter vorgestellt – eher so, wie das, was der Titel einer Umsonst-Zeitung neulich im Supermarkt versprach: Sonne, Meer und Luxus pur – Yacht-Personal dringend gesucht!

Die Wurst ist wie ein schwerer Unfall, ekelhaft, aber weggucken kann ich nicht. Gut, dass jetzt Werbung kommt und die Programmvorschau. Und ich finde es auch nur konsequent, dass eine Sendung, die von den nervigsten Deutschen handeln soll, auch gleich von diesen moderiert werden wird. Durchdachtes Konzept!

Zwischen Dreizehn und Siebzehn Uhr zappe ich mich durch diverse Comedy-Serien von Kanal zu Kanal, alle dieselbe Handlung bei ausgewechseltem Personal, bedingt lustig. Ich bin erschöpft und schlafe ein, um dann gegen halb Neun den krönenden Abschluss erleben zu dürfen. Die Kamera hält drauf, auf den Arschloch-Mann und die Ganzkörperoperierte, die sich permanent von ihm runtermachen lässt, und von denen man mir folgendes weißmachen will, nämlich, dass sie A) prominent sind und total wichtig, zumindest so, dass es für diese Reality-Show reicht, B) überaus vermögend sind und deshalb ganz viel in den Urlaub fahren müssen, was aber purer Stress ist und die Frisur ruiniert, und dass man im Urlaub auch verarscht wird, wenn man reich ist und C), dass ich mich dafür interessieren müsste... und dass die Großbildfernseher im Discounter kaufen und er zu Hause nicht mit seinem Personal spricht, aber auch nicht von ihnen angesprochen werden will. (Vor diesem Hintergrund und in Bezug auf den eben von mir geäußerten Wunsch… - Ich glaube, ich wäre dann doch lieber die, die das Yacht-Personal sucht!)
Ich frage mich erst gar nicht, warum die beiden ein Paar sind, denn offensichtlich sind sie nicht in inniger Freundschaft und Liebe verbunden. Und ich bin jetzt auch nicht mehr verbunden – jedenfalls nicht mit der Fernsehwelt. Das ist nicht mein Lebensmodell. Aber es wäre ja auch schlimm, wenn ich mal zufrieden wär. Dann hätte ich ja nichts mehr zu tun.

Dienstag, 18. Oktober 2011

Bei dir piept' s wohl!

Ständig piept es überall. Was piept heutzutage nicht? Jedenfalls tun es Alarmanlagen (jetzt auch an Fahrrädern), rückwärtsfahrende LKWs, bremsende Busse, Backöfen in Supermärkten, Pfandautomaten, zu lang geöffnete Kassen, Rauchmelder wegen verbranntem Toast, Boards der Paketauslieferer, auf denen man den Empfang quittiert, Rollstühle... Und ich glaube, bei mir piept‘ s auch. Auf jeden Fall piept es bei meiner ehemaligen Mitbewohnerin, von der man behauptet, dass ich auf irgendeine Art und Weise mit ihr verwandt sei. Und, was mich zum Piepen bringt, ist der Ärger darüber, dass ich einfach noch nicht buddhistisch gelassen genug bin, darüber stehen zu können. Der kleine Giftzwerg schickte mir eine Freundschaftseinladung bei Facebook. So ein falscher Fuffziger! Das letzte, was ich über sie gehört habe, sind Äußerungen wie: Du solltest mal hören, was sie bei den Großeltern über dich erzählt… Die Welt ist ein Dorf, jedenfalls wenn man aus einem kommt, und dementsprechend verhält sich die soziale Kontrolle durch die Dorfgemeinschaft, in der jeder jeden kennt. Die Großeltern sind ja auch nicht gut auf dich zu sprechen, nachdem was in Hamburg vorgefallen ist! Bis heute ist mir allerdings unklar, worum es eigentlich geht, da es immer nur bei Andeutungen bleibt, wenn mir zugewandte Anverwandte darüber berichten. Vorgefallen ist genug, z. B., die erschreckende Tatsache, dass ich Freunde habe, die sich trauen, mich auf unserem Festnetz anzurufen, natürlich nur, um sie zu stören. Und, oh Gott, ja, ich habe ein echtes Sexualleben, während sie sich doch schon von Nachbarn, die mal fünf Minuten rummachen, so dass es im Innenhof schallt, gestört fühlt und ihnen am nächsten Tag die vergrößerte Kopie der Hausordnung an die Tür nagelt. Ist ja auch pfui Teufel und wie bei den Tieren und muss mit Uhrzeit dokumentiert und für Beschwerdezwecke festgehalten werden. Im Zuge dessen kommt sie nicht umhin, mir mit gerümpfter Nase mitzuteilen, dass sie ihrem Freund, wenn der am Wochenende mal was will, gleich klar gemacht hat, dass einmal reicht. Schließlich gäbe es ja auch noch andere Dinge zu tun, z. B., zu seiner Mutter in den Garten zu fahren. Die Ereignisse könnten ein ganzes Buch füllen, aber nichts davon kann so bescheuert sein, wie ihre Anfrage selbst. Es will gar nicht in meinen Kopf, wie sie auf die Idee kommt, dass ich mit ihr befreundet sein will. Mir ist schon klar, dass für die meisten auf Facebook befreundet nicht gleich befreundet ist. Je länger die Liste der sogenannten Freunde, desto mehr taugt sie als Statussymbol. Und ist ja auch eine nette Art für jede Läster-Schwester auf dem Laufenden zu bleiben. Aber, wenn sie annimmt, dass der Fakt, dass man sich Verwandte nicht aussuchen kann, automatisch dazu führt, dass man mit ihnen zumindest auf Facebook befreundet sein kann, ja, dann muss ich sagen: Bei dir piept’s wohl!

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Ich verstehe nur Bahnhof

Nachdem ich ein Vierteljahr nicht mehr nach Hause gefahren bin, trieb mich die Sehnsucht nach Überschaubarkeit und Ruhe doch wieder Richtung Mecklenburg. Sind in MV eigentlich Burn-Out-Fälle bekannt? Ich kann es mir gar nicht vorstellen! Aber das ist wahrscheinlich meiner großstädtischen Versautheit geschuldet, aus der Stadt der Reizüberflutung kommend. Da entwickelt man vermutlich einen verklärten Blick auf die Dinge, so wie ihn manche mittlerweile auf die DDR haben – und der hat meist nichts mehr mit der Realität zu tun. Meine Realität spielte sich sodann auch lediglich im Haus meiner Eltern ab. Ich glaube, ich habe das Haus innerhalb der drei Tage bloß kurz verlassen und das auch nur, um Abfälle auf den Misthaufen im Garten zu bringen. Ja, da gibt es noch Misthaufen. In der Stadt ist auch vieles Mist. Und auch auf der Strecke da heraus und wieder dorthin zurück, insbesondere das Schienenfahrzeug und dessen Drumherum betreffend. Es fängt am Hauptbahnhof meist schon damit an, dass der traditionelle Weg über den Schalter out ist, ich aber zu unterqualifiziert für den Erwerb eines Fahrscheines bei der Deutschen Bahn bin. Seit wann zieht man denn hier Nummern, um überhaupt die Möglichkeit auf visuellen Direktkontakt mit einem echten Menschen zu erhalten? Und wenn man sich diesem aus Frust und Furcht vor langer Wartezeit und Servicegebühren verweigert, bleibt nur einer der zahlreichen Automaten, für dessen Bedienung nicht mal mein Hochschulabschluss ausreicht. Sollte ich es doch schaffen, mich durch die Angebote zu klicken und einen Fahrschein zu bestellen, scheitert der Ausdruck spätestens daran, dass der Automat abstürzt oder sich gerade entschließt, keine Geldscheine mehr anzunehmen. Da ist man dann schon so richtig guter Reisestimmung und will nur noch weg. Die Strecke, die ich gewöhnlich fahre, ist immer gut ausgelastet. So gut, dass man oft stundenlang stehen muss, weil es keine Plätze mehr gibt. Doch dieses Mal hatte ich Glück – oder war einfach nur gut vorbereitet, weil ich eine halbe Stunde vor Abfahrt schon bereit stand zum Drängeln, was mir eigentlich missfällt. Aber seitdem ich sogar von Omas beiseite geschubst werde, fahr ich nun auch regelmäßig meine Ellenbogen aus – meist allerdings nur, um ihnen den Platz, den ich mir gnadenlos erkämpfte, dann später aus schlechtem Gewissen wieder anzubieten. Eigentlich mag ich Bahnfahrten. Ich mag auch den Hauptbahnhof. Ich finde es toll, wie Züge einfahren und wieder abfahren. Logistisch gesehen doch eine gigantische Leistung. Ich bekomme Fernweh, frag mich, wo die Leute hinfahren, wo sie herkommen. Alles ist in Bewegung. Soviel Leben spielt sich am Bahnhof ab, Schicksale, Abenteuer. Schade eigentlich, dass diese Geschichten sich immer nur in Vermutungen erschöpfen und sich lediglich in meinem Kopf abspielen. Denn oft steht oder sitzt man stundenlang nebeneinander im Zug, ohne dass ein wirkliches Gespräch entsteht. Auch bin ich zu gut erzogen, um Leute einfach so auszufragen. Doch manchmal wird man Zeuge kleiner Episoden, die keiner großartigen Interpretation oder keines Kopfkinos bedürfen. Abschiede mit Geheul oder viel Geknutsche. Manchmal auch beides zusammen. Gute Grundlage bieten auch Leute mit Null Schamgefühl, die ihre aktuelle Freundin, die sie am Wochenende das erste Mal flachgelegt haben, im Zug vor versammelter Mannschaft fragen, ob sie eigentlich die Pille nimmt. Oder Mütter, die kennen auch oft keine Scheu und bleiben noch so lange im Zug, bis dieser fast mit der Tochter abfährt. Gerade jetzt zu Semesterbeginn ganz oft der Fall: Mama und Papa bringen die Tochter, die nun zum Studieren nach Rostock geht, mit Sack und Pack und pinker Laptoptasche, in den Zug. Zieh dich warm an. Melde dich um. Vergiss das Essen nicht. Ich freu mich schon, wenn du in zwei Wochen am Wochenende nach Hause kommst. Als ich auszog, hat meine Mutter am selben Tag mein Zimmer komplett ausgeräumt, und als ich das darauffolgende Wochenende zu Besuch kam, war es renoviert, und sie hatte sich ein Büro eingerichtet. Da konnte es wohl jemand kaum erwarten. Infolgedessen hatte sie aber zum Glück auch keine Zeit, mich im Zug mit solchen Ratschlägen vor aller Leute Augen und Ohren zu belegen, so dass sich neben der Enttäuschung vor allem Dankbarkeit darüber in mir breit macht. Zeitweise, als ich noch öfter nach Hause gefahren bin, dachte ich, es sei eine gute Möglichkeit, sich ein Ticket mit anderen zu teilen, um mal mit interessanten Menschen in Kontakt zu kommen. Da ist man dann zumindest für die Fahrt in gewisser Weise aneinander gebunden, doch die Leute, an die ich dadurch gebunden war, wollten nicht sprechen, zumindest nicht über die organisatorischen Angelegenheiten hinaus und nicht mit mir. Fahrkarten teilen, ist dennoch nicht die schlechteste Idee, denn so ist der Stehplatz nicht ganz ärgerlich teuer. Der Preis hat sich für mich und meine Strecke innerhalb der letzten sechs Jahre – jeweils die aktuellen Sparmöglichkeiten einbezogen – verdoppelt. Und auch die Sparmöglichkeiten nehmen rapide ab. So ist es mir bei der Rückfahrt doch wirklich passiert, dass ich ein MV-Ticket kaufte, und der Zug war gerade angefahren, da dröhnte schon eine Information der Zugbegleiterin durch die Lautsprecher, die noch einmal darauf hinweisen wollte, dass Mecklenburg-Vorpommern-Tickets und andere Tickets dieser Art erst ab 9:00 Uhr gelten. Da war es gerade 8:10 Uhr. Seit wann denn das? Muss wohl mit der Einführung der Zerstückelung passiert sein, denn irgendwann war es ja auch nicht mehr möglich, ein Einheits-MV-Ticket zu kaufen, sondern bitteschön auch die mitfahrenden Personen anzugeben und mit jeder Person wurde und wird das Ding noch mal teurer. Ja, nichts ist eben so zuverlässig wie die jährliche Preiserhöhung der Bahn – der Service jedenfalls nicht, denn man bedient und berät sich in der Regel ja selbst am Automaten oder im Internet und ist oft auch bedient und schlussendlich nicht beraten. Was meine Schwarzfahrt angeht, so wird mich diese Geschichte wohl noch eine Weile verfolgen. Ich denke ja heute auch noch an die Ente auf der Alster, die an Silvester 2000 mit Raketen beschossen wurde und um ihr Leben schwamm, und an meine unterlassene Hilfeleistung diesbezüglich. Und nun habe ich auch die Bahn verraten. Da ich für die Rückfahrt keine Mitfahrer fand und ich meine letzten zwanzig Euro für ein Ticket ausgab, das nun nicht gültig sein sollte, pokerte ich hoch und verhielt mich still und unauffällig, als die Schaffnerin den Wagon betrat und fragte: Hier noch jemand zugestiegen? Also, ich nicht. Ich war aber selten so froh, unter höchstem Gedrängel in Hamburg wieder auszusteigen. Und das ist auch etwas, das ich nicht verstehe: Was für ein Wettbewerb ist das eigentlich? Hier hat man den Platz doch schon gehabt??!

Samstag, 8. Oktober 2011

Rotkäppchen

Schon als Kind hatte ich eine blühende Fantasie. Als meine Mutter mir erzählen wollte, mein Cousin würde am Blinddarm operiert, war ich nicht davon abzubringen, dass ihm der Bauch nur aufgeschnitten würde, weil er Rotkäppchen verspeist habe – was auch nicht ganz abwegig schien, denn mein Cousin war schon eher ein anstrengendes Kind und kurz zuvor hatte er meinen voll funktionsfähigen Kinder-Küchen-Mixer zerstört; da war Rotkäppchen ja nur die logische Konsequenz. Und insgesamt finde ich, ein bisschen Fantasie kann auch nicht schaden, denn dann hätten wir bessere Ideen oder überhaupt welche. Manche Leute haben ja auch heute noch Ideen, aber die sind eher der Kategorie VERZICHTBAR zuzuordnen. Neulich habe ich doch allen Ernstes gelesen, dass es in irgendeiner Firma auf dieser Welt die Pflicht zu einem konformen Haarschnitt gibt. Das heißt, alle Mitarbeiter haben die gleiche versch****** Frisur! Ohne diese Pflicht ist es ja schon eine Belastung, wenn der männliche Haarausfall im Alter beginnt, doch wie belastend muss das für Arbeitnehmer dieser Firma sein? Ist es ein Grund gefeuert zu werden, wenn die eigene Haarpracht für den verordneten Massenhaarschnitt nicht die erforderliche Grundlage bietet? Und ich dachte Montag schon in unserer Dienstbesprechung, ich hätte den dümmsten Satz in puncto Mitarbeiterpflege überhaupt gehört: In anderen Einrichtungen wird darüber gar nicht diskutiert. Wer da nicht mitmacht, kriegt gleich eine Abmahnung! Kommt schon irgendwie doof, wenn alle Leute, die sonst so am Tisch sitzen, unter der Prämisse eingestellt wurden, dass man alles demokratisch beschließen und besser machen wolle, insbesondere mit und für die eigenen Angestellten! Das Leben ist kein Wunschkonzert. Aber neulich hab ich es mir doch gewünscht und hatte die fantastische Idee, dass alle unzufriedenen und verheizten Arbeitnehmer nur einen Tag zu Hause bleiben würden, um ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Die Masse müsste es doch eigentlich machen. Wenn wir uns nur unserer Macht bewusst wären! Ohne die Millionen Arbeitsameisen auf der Welt, die sich Tag für Tag den Buckel abschuften, könnte doch kein Chef der Welt sein Geschäft aufrechterhalten. Ohne uns wären sie dann nichts, doch wir lassen uns einfach wie Nichts behandeln. Aber warum? Weil alles Geld ist und man dafür auch seine Ideale verkauft – sofern man heutzutage überhaupt in der Kindheit und Jugend die Zeit verschwenden durfte welche auszuprägen?! Denn lernt man nicht schon in der Kindheit, dass der Wert eines Menschen von seiner Leistung abhängig ist? Und die sollte doch bitte schön nicht an eine unbequeme eigene Meinung gekoppelt sein oder irgendein Freizeit- und Erholungsbedürfnis beinhalten. Das Leben ist kein Ponyhof! Geritten wird hier nur zur unterbezahlten Arbeit. Und bloß nicht vergessen: Heutzutage ist immer der einzelne Schuld. Bist du zu dick, ist es Willensschwäche. Nicht erfolgreich? Wohl nicht genug angestrengt. Krank? Dann hast du wohl falsch gelebt. Arbeitslos? Arbeitsfaul. Gerade neulich fragte mich eine Freundin vorwurfsvoll, als ich aus finanziellen Gründen schweren Herzens ablehnen musste, mit nach London zu fliegen: Ja, arbeitest du denn gar nicht mehr an deinen Glaubensmustern?? Selber schuld! Denn das Geld kommt nur zu denen, die daran glauben. So einfach ist das. Aber geht das auch so schnell, wie ihre Empörung es vermuten lässt? Ausgehend von diesem Selber-Schuld-Paradigma ist es wohl logische Konsequenz, dass aus Einzelkämpfern keine Masse mehr wird.
Liebe deinen Nächsten und der ist man zunächst persönlich. Selbst mit viel Fantasie fällt es mir schwer, mir vorzustellen, dass die bunten 60er und 70er Jahre wahrhaft existierten, denn spätestens mit dem Punk in den 80ern ist doch auch die Revolution gestorben – jedenfalls als etwas, das unter der Jugend stattfindet und für Außenstehende wahrnehmbar ist. Der Widerstand besteht heute darin, keine ganzen Sätze mehr formulieren zu können oder diese jeweils mit Alder, Digger oder deine Mudder zu beenden. Die Jugend langweilt mich. Jedes Mal, wenn ich in der U-Bahn sitze und Jugendliche sehe, die punkig oder schrill rumlaufen und ihre Meinung durch Aufnäher und Buttons kundtun, mache ich innerlich einen Freudentanz. Oder Jugendliche, die beweisen, dass sie lesen können – oder bei Jugend forscht teilnehmen, einer Oma den Platz anbieten. Mehr davon! Ich bin auch für mehr denkende Erwachsene. Und vor allem für denkende Studenten, aber die sind ja auch gerade anderweitig beschäftigt und müssen schnell ihren Bachelor oder Master machen. Ist das der Puls der Zeit? Der ist besorgniserregend schwach. Dabei gibt es doch heute mehr denn je zu beanstanden und zu verbessern! Ich bin für mehr Streber! Leute, die weg von Narkose und Konformität streben. Im Moment ist das größte Bestreben ja eher in eine Form zu passen, die einem gar nicht passt. Ich bin für mehr Erfinder! Denn solange wir das Erfinden weiter großen Banken überlassen, die in so mancher Stellenausschreibung im Rahmen der Selbstbeschreibung eine klaffende riesige Lücke zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung erkennen lassen und von sich behaupten, sie bräuchten Leute, die Ideen für Menschen entwickeln, die sich quasi positiv auf die ganze Menschheit auswirken.. Ja, solange wird es langweilig bleiben. Und so lange sind wir alle Rotkäppchen und werden jeden Tag gefressen.

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Verlockend wie Fußpilz

Ihr neuer Bankberater möchte Sie gern kennenlernen. Frau Richter, die bisher für Sie zuständig war, übernimmt nun andere Aufgaben hier bei uns im Hause.

Ich ihn aber nicht. Ich bin ungefähr so daran interessiert, ihn kennenzulernen, wie an einer hartnäckigen Variante von Fußpilz. Mir liegt nichts am persönlichen Kontakt zu meinem Bankberater. Das weiß auch Frau Richter, die zwar jahrelang für mich zuständig war, von der allerdings weder ich weiß, wie sie aussieht, noch sie ein Bild von mir hat. Und dabei will ich es grundsätzlich gern belassen. Denn, was hätten wir denn zu bereden? Es ist völlig ausreichend, wenn ich meine Überweisungsträger am Anfang des Monats in den dafür vorgesehenen Briefkasten in der Filiale meiner Wahl werfe, eben gerade die, die auf dem Weg liegt, und wenn ich meine restlichen Geschäfte an den dafür erfundenen Automaten tätige – also ab und zu einen Kontoauszug drucken und wenn der sagt, dass noch Geld da ist, das dann abholen. Dazu kommt maximal zweimal im Jahr ein visueller Direktkontakt mit dem jeweils diensthabenden Mitarbeiter in dem Kassenkäfig, wenn ich mal wieder festgestellt habe, dass eine Abbuchung ansteht und mein Konto dafür nicht gedeckt ist. Der im Kassenkäfig eingesperrte hasst mich dann gewöhnlich, weil ich alle Ein-, Zwei- und Fünf-Cent-Stücke, die ich die letzten Monate gesammelt habe, auf mein Konto einzahlen will. Das stößt meist auf genauso viel Verständnis wie meine Offenbarung, dass ich meinen neuen Berater nicht kennenlernen will. Die – ich nehme an Call-Center-Mitarbeiterin, die mich anrief, um den Termin zu vereinbaren – war völlig aus der Bahn geworfen. Ich signalisierte die Bereitschaft zum Erscheinen, wenn es etwas gäbe, wofür sich das Erscheinen lohnt. Dazu gehört nicht, den neuen Berater einfach nur kennenzulernen. Denn Berater wollen einen nicht einfach kennenlernen. Eine Bank ist ein Geschäft. Die wollen mir in der Regel was aufquatschen, was nichts mit mir zu tun hat. Ich hätte nicht mal ein Konto, wenn mit dem Fall nicht der totale soziale und gesellschaftliche Ausschluss und eine gewisse Interaktionsstarre verbunden wären. Ich kenne auch nur schmierige Bankleute. Welche, die immer noch glauben, Geld lasse sich unendlich maximieren und die nicht verstehen, dass ich kein Interesse an einer Immobilie habe. Mal davon abgesehen, dass ich dafür mit Geld planen müsste, was ich nicht habe (Oma hat schon gesagt, dass das gar nicht geht!!!), halte ich den Zustand oder die Aussicht darauf, immobil zu sein, für überhaupt nicht verlockend. Genauso wenig wie das Gespräch in der Bank.

Samstag, 24. September 2011

Alles ist möglich – Nichts geht

Was sein soll. Und was auch nicht. Was man zu tun und zu lassen hat, um dieses oder jenes zu erreichen oder die und der zu werden – damit habe ich mich die gefühlten letzten vier Wochen befasst, in Bezug auf Blogs und typische Anfängerfehler der Blogger und in Bezug auf Bücher und Autoren oder Menschen, die es werden wollen. Und nun bin ich erschöpft und leer im Kopf und habe gar nichts mehr zu schreiben – weder um zu bloggen noch um Stoff für ein Buch zu sammeln. Da ist es wieder, das Problem so vieler meiner Generation: Das Verheddern in Möglichkeiten. Alles ist möglich. Nichts geht. Und darum habe ich heute den ganzen Tag nur geschlafen und geatmet. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Und manchmal ist weniger einfach mehr.

Montag, 19. September 2011

Alles im Kasten

Das Leben spielt sich in Kästen ab: Im Computer, im Fotoapparat, im Handy, im Fernseher und in anderen Automaten. Alles ist möglich: Partnersuche, Jobsuche, Persönlichkeitstests, Ferndiagnosen, Hellsehen, Bankgeschäfte, Einkäufe, Schriftverkehr, Sex. Und schlussendlich leben wir alle in einem Kasten – da, wo früher Häuser waren – zumindest sehen fast alle Neu- und Umbauten in Hamburg so aus: Beliebig kastig.
Gestern Miezi, Bello oder Hansi, heute Tamagotchi. Tagsüber bei Hertie an der Kasse und abends Großbauer oder Manager im eigenen Restaurant. Schöne neue Welt. Na gut, eingeschränkt schön, denn gerade die Bildtelefonie birgt doch einige Tücken: Nie mehr nackt telefonieren, weil man dran ging, als man gerade aus der Dusche kam, nie mehr dabei popeln und vor allem: Auch zu Hause immer gut aussehen! Und, daran ist nun nicht das Telefon schuld, aber auch nie mehr in Fotoalben blättern, die man wirklich anfassen kann. Heute gibt es Dia-Shows am Bildschirm. Ein Hoch auf Zeiten, als die Menschen noch Filme kauften und mit Bedacht Bilder schossen, weil die Kapazitäten begrenzt waren. Heute ist die Menschheit begrenzt oder lässt sich begrenzen. Alles, was sich nicht in Apps pressen lässt oder technisch erfassbar ist, ist nichts, wird abgeschafft und aussortiert, so wie die Schreibschrift in Schulen. Quasi ist man gar nicht als Mensch existent, wenn man kein Profil angelegt hat. Aber mal ehrlich, wer hat denn heute noch ein Format, das es sich lohnt, anzulegen? Wir unterliegen dem Drang, alles in Formen zu pressen und kategorisieren zu wollen. Soziale Netzwerke sind das beste Beispiel. Sobald man da etwas eingibt – nehmen wir mal an, ich hätte eine Vorliebe für grünkarierte Zwergkaninchen und wäre damit höchstwahrscheinlich der erste Mensch auf der Welt und vor mir wurde diese Vorliebe von keinem Mitglied dieses Netzwerkes offenkundig ausposaunt – so würde mein soziales Netzwerk sofort eine Seite für grünkarierte Zwergkaninchen anlegen, denn es könnte ja sein, dass noch mehr Leute daran Interesse haben und so würde man wieder an einem positiven – und jetzt kommt mein absolutes Lieblingswort – NUTZERERLEBNIS arbeiten und Menschen dieser Erde die Möglichkeit bieten, sich über dieses Interesse näher zu kommen... So sind auch meine anderen Interessen zu Gemeinschaftsseiten verkommen, ohne dass ich es gewollt hätte und dass es irgendeinen Sinn und Zweck erfüllt, da ich bisher die einzige mit diesen Interessen bin, wie z. B. Menschen mit eigenem Kopf und gegen den Strom, mein Fahrrad aus Karl-Marx-Stadt und Abenteuer und Kopfkino. Und ein noch viel größeres Versehen ist die Seite für Dinge mit Ecken und Kanten Abenteuer und Kopfkino Die wurde sofort angelegt, noch bevor ich einlenken und verbessern konnte, weil ich gemerkt hatte, dass zwei völlig verschiedene Sachen zu einer verschmolzen wurden. Und da machen die Leute sich Gedanken über die Gefahren von sozialen Netzwerken, die angeblich lediglich  in Isolation, Datenklau und Realitätsverlust bestehen, wo ich doch (ungewollt) den Beweis angetreten habe, dass die größte Gefahr in der Dummheit und Beschränktheit dieser Netzwerke liegt, denn die selber haben überhaupt nichts auf dem Kasten, sondern speichern einfach alles rein, sei es auch noch so dämlich oder gar nicht existent. Und was wird aus Dingen, die nicht speicherbar sind? Verlieren die gegen dreiste Dummheit, nur weil sie nicht in den Kasten passen? Im Netz der unbegrenzten Möglichkeiten… mmh, fühl ich mich doch sehr eingeschränkt. Immerhin sind Portale nur so nutzbar, wie es dem Anbieter Nutzen bringt. Und was ist eigentlich wichtiger? Wirklich da gewesen zu sein oder das Foto als Beweis, dass man dort war? Man postet ein Leben, das nur noch aus Posts besteht – ein bisschen wie TV-Sendungen, die nur über andere TV-Sendungen berichten. Wie oft wollte ich meinem Mitbewohner, der für Kästen lebt, schon zurufen: Claus, zieh den Stecker! Draußen scheint die Sonne, das wahnsinnig helle Ding oben an der Decke.
Hast du was zu sagen oder machst du Power Point? Kein Rechts, kein Links, kein realer Duft, nichts was die Sinne stimuliert und lebt. Nur der Wiedergabekasten, der schnurrt wie ein Kätzchen und vom Leben erzählt, das man selbst führen sollte. Ob Dorf oder Stadt – alles egal. Geht doch eh keiner mehr vor die Tür. Und lüften war gestern. Heute gibt es kleine Kästchen, die fiktive Frischluft absondern.
Und wie viel Zeit man damit verbringt, um all diese Kästen am Laufen zu halten. Immer schön am Ball bleiben. Dabei war ich schon immer unsportlich und das fetteste Kind im Sportunterricht. Es muss upgedatet und virengeprüft werden, gedownloadet, neu gekauft, installiert und angebaut. Was man plötzlich alles braucht, nur um nicht dem sozialen Ausschluss ausgeliefert zu sein. Noch vor ein paar Jahren hieß es, ich bräuchte dringend ein Handy, nun ist es ein Smartphone, dabei bin ich bis jetzt nicht mal smart genug, mein Handy zu bedienen und auch zu dumm, die Gebrauchsanleitung zu verstehen, da sie voll mit Wörtern ist, die wahrscheinlich nur Menschen kennen, die richtig gute Nutzererlebnisse haben. Und ich bin doch die, die in der realen Welt immer noch reale Erlebnisse hat, wie z. B. heute Morgen, als ich auf realem Laub ausgerutscht bin!

Donnerstag, 8. September 2011

Wissen

Angeblich verdoppelt sich das Wissen ja rasant und in einem noch nie dagewesenen Tempo. Wie erklärt es sich dann, dass ich den dümmsten Leuten, denen ich jemals begegnet bin, an der Universität über den Weg gelaufen bin, wo sich doch eigentlich das Wissen nur so stapeln müsste und aus allen Köpfen quillen sollte? Sieht man dort den Wald vor lauter Bäumen nicht? Und wenn wir so schlau sind, haben wir über all unser Wissen den Verstand verloren? Denn nicht nur Wissen wächst rasant, sondern auch der Prozentsatz psychisch kranker Menschen. Glaubt man einer aktuellen Studie, sind nahezu 40 % der Europäer durchgeknallt! Oder wissen wir zu viel? Genie und Wahnsinn sollen ja Geschwister sein. Wissen wir vielleicht einfach nur das Falsche, Unnötige und sind deshalb viele zu doof für ein zufriedenstellendes Leben? Gibt es überhaupt unnötiges Wissen? Oder ist das gar kein Wissen, sondern gleich Schrott? Oder wissen wir es eigentlich, sind aber zu blöd, zu schwach, zu klein, es umzusetzen und anzuwenden? Manches will ich auch gar nicht wissen. Und das weiß ich.

Sonntag, 14. August 2011

Anstupsen verboten...

…da halte ich es wie die Queen! Denn dies ist keine adäquate Art sich ihr zu nähern. Ist ja auch genauso bekloppt wie gruscheln. Gut, die bei Vz haben sich wenigstens noch bemüht, ein neues Wort zu erfinden, obgleich dies ein Wort ist, das die Welt nicht braucht, genau wie die Funktion an sich, die kein Mensch braucht – ich zumindest nicht. Ich will grundsätzlich nicht, dass sich jemand an mir schubbert – auch nicht virtuell. Oder was soll das sein? Wenn ich jemanden grüßen will, dann gibt es dafür doch schon ein Wort. Ratlos wie ich bin, hab ich das mal gegoogelt und es ist unglaublich: Es gibt nahezu wissenschaftliche Abhandlungen, ganze Foren und mindestens hundert durchdacht klingende Definitionsversuche und sogar Benutzerhandbücher, die sich thematisch dieser Sache gewidmet haben. Und wer es noch nicht wusste: Anstupsen kann teuer werden. Dies natürlich vor allem im Land der unbegrenzten (Klage-)Möglichkeiten. Denn da fühlte sich ein Mädchen von einem anderen zu oft angestupst und damit belästigt, so dass sie diesen Tatbestand zur Anzeige brachte – angeblich mit (finanziellem) Erfolg.
Anstupsen: Funktion, die es einem erlaubt, andere Mitglieder zu kontaktieren, ohne eine Nachricht hinterlassen zu müssen. Ja, das wäre ja auch noch schöner, wenn man sich mit seinen Freunden wirklich unterhalten müsste! Heutzutage sollte man seine Arbeitsschritte möglichst auch im Freizeitbereich effektiv gestalten und bloß keine Energie auf richtiges Schreiben verwenden. Wo käme man denn dahin!
Das ist vielleicht die Antwort auf die Frage, die ich nicht gestellt habe, aber es wird mir doch einiges klar. Mich stupsen ständig die Leute an, die mir früher recht nahe standen, denen ich auch oft hinterhertrauere oder zumindest den guten Zeiten, die wir gemeinsam hatten, und doch sind es die Leute, mit denen ich keine Themen mehr habe. Aber zum Anstupsen reicht‘s! Und genauso wenig wie sie, bin ich nicht vergessen. Ist Anstupsen in diesem Sinne denn auch Gewissenserleichterung in Freundschaften, die man eigentlich nicht mehr führen will? So nach dem Motto, ich habe mich regelmäßig bei dir gemeldet, aber von dir hört man ja nichts?! Stimmt, früher habe ich noch zurückgestupst, heute geh ich gleich aufs Kreuz zum Löschen. Der Stupser lebt aber mit der Gewissheit, seine Pflicht zur Meldung erfüllt und nicht Schluss gemacht zu haben, obwohl er es eigentlich auch will. Oder ist das Anstupsen der letzte Versuch und die Hoffnung auf den ersten Schritt, sich doch wieder richtig was zu sagen zu haben? Wie scheiße ist es denn, wenn der Angestupste nicht reagiert, man quasi abgewiesen wird, nicht angestupst, sondern weggeschubst? In diesem Fall wäre die Ausformulierung ganzer Sätze vielleicht ratsam gewesen, denn ich bin zu dumm, um angestupst zu werden!! Wenn jemand mir wirklich etwas mitteilen will, dann wähle er doch bitte die konventionelle Variante. Denn nach dem Lesen der ganzen Beiträge im Netz, weiß ich ja nun, dass Anstupsen bedeuten kann, dass jemand mich grüßt, Sex mit mir haben will, mich knuddelt, wir alle schwul sind, niemand wirklich mit mir sprechen will oder dass ich schlicht und einfach belästigt werde UND ich bin einfach noch nicht soweit, zwischen all den Möglichkeiten zu differenzieren – und das, obwohl ich nahezu mein dreiviertel Leben in Schulen und an Universitäten verbracht habe. Bitte, sprecht in ganzen Sätzen. Und um einem jeden dies zu ermöglichen, ist mein Lieblingsbeitrag: Wie kann ich das Anstupsen bei Facebook deaktivieren?

Freitag, 12. August 2011

Marathon

Ich bin moppelig und habe keine Waage. Wozu auch? Meine Lieblingshose ist der beste Maßstab und die passt irgendwie nicht mehr. Das will ich ändern und hatte DIE Idee. Ich laufe einen Marathon. Das ist eine Herausforderung, die ich in meinem langweiligen Leben brauche und ganz nebenbei werde ich dann auch wieder in meine Hose passen. Denn klassische Diäten sind nichts für mich. Ich verfüge nicht über tausend verschiedene Gewürze, die man für die Zubereitung scheinbar aller Diätrezepte der Welt braucht, und ich will sie mir auch nicht kaufen. Ich arbeite auch nicht in einem Büro, wie wohl sonst alle Frauen, die Diätratgeber lesen, und sich immer in kleinen Döschen das jeweilige Tagesprogramm in kleinen Portiönchen für die Pausen zur Arbeit mitnehmen sollen. Außerdem ist mir dieser Diätkram zu kompliziert, zu zeitaufwendig und ich habe einfach keine Lust drauf. Das ist so lebensfeindlich und unpraktisch. Mal abgesehen davon, dass in mir neben einer mecklenburgischen Bäuerin auch eine Französin wohnt, die ordentlich ernährt werden will. Und wenn man einmal das Hungern versucht hat, muss man sich eingestehen, dass man dann gleichzeitig auch das Fernsehen aufgeben sollte, denn dort werden eigentlich ununterbrochen Lebensmittel beworben, die man sich im Zustand stärkster Bewusstseinstrübung durch Hunger am liebsten unter Androhung roher Gewalt von den essenden Freunden, die man eigentlich auch nicht mehr treffen sollte, erpressen will. Ich will nicht Größe Null. Ich will einfach nur nicht noch fetter werden und auch keinen Diabetes, keinen Herzanfall und ich will auch nicht das Leben verlängern, nur seine Qualität verbessern. Kurzum, ich will Spaß und weiter meine vielen Kaffees mit Kondensmilch zum Frühstück und meinen Weincocktail zum Feierabend. Das Problem ist nur, dass ich von Sport eigentlich genauso viel halte, wie von Diäten. Ich war schon in der ersten Klasse die Dicke, die doppelt so lange für die Umrundung des Sportplatzes brauchte, wie alle anderen. Ich lief quasi noch meine Runde, während meine Mitschüler sich bereits wieder umzogen. Ich bin auch eher der asthmatische Typ. Und letzten Sommer, als ich es schon einmal mit dem Laufen versuchen wollte, war ich so langsam, dass ich innerhalb einer Runde um den Appelhoffweiher zweimal von ein und derselben joggenden Oma überrundet wurde. Da bin ich dann ganz schnell nach Hause gegangen, wahrscheinlich schneller als ich eigentlich laufen kann. Aber dieses Jahr will ich vorbereitet sein. Darum bin ich mal wieder meiner Lieblingsbeschäftigung nachgegangen und habe alles im Internet recherchiert. Das war allerdings eher unfruchtbar und ich schneller abgelenkt und in sozialen Netzwerken unterwegs als mir mein Vorsatz erlaubt. Und bei dem Wetter soll man bestimmt auch nicht mit dem Laufen anfangen. Diesen Sommer ist Regenzeit. Ich habe seit Juni bereits Herbstgefühle und friere. Hätte ich nicht den eisernen Grundsatz frühestens ab Oktober zu heizen, ich würde jeden Abend die Heizung auf fünf drehen. Darum erst mal einen Tee. Glaub ich an Schicksal? Denn wieder ist es das Schild am Teebeutel, das mir einen Hinweis gibt: Wer sich viel zutraut, erreicht auch viel. Na, dann wohl Marathon!

Montag, 1. August 2011

Hausfriedensbrecher

Ich gebe zu, ja, es stimmt: Ich bin behindert. Obwohl ich eine Frau bin, wollen sich mir sogenannte Frauenzeitschriften einfach nicht erschließen. Geballte Werbung und dafür zahlen? Nee, danke. Auch die Begeisterung für Klatsch und Tratsch will sich bei mir einfach nicht einstellen, so verstehe ich auch Oh, die Polen, anstatt Dieter Bohlen. Während meine Freundin neben mir aufspringt und ihm schon folgt, da denke ich noch darüber nach, was genau an diesen Polen so besonders ist und vermute ihre Heimatverbundenheit dahinter, bis auch ich ihr folgend sehe, dass wir hinter Herrn Bohlen herlaufen, der kurz darauf aus dem Blickfeld verschwindet, in dem er in ein Riesengefährt steigt und davon braust. Wofür ich sonst nicht zahle, bin ich nun gelaufen – der Preis ist in beiden Fällen zu hoch.

Aber scheinbar ist Klatsch und Tratsch, eingedeutscht auch Gossip, unabdingbarer Teil des gesellschaftlichen Lebens. Versäumnisse hier sind fast so schlimm, als würde jemand feststellen, dass man nicht bei Facebook mitmacht.

Wie? Du hast noch nicht davon gehört, dass David Beckham sein Teil für eine Unterwäschewerbung hat vergrößern lassen? Die Wahrheit ist, doch, auch ich weiß über die Retusche Bescheid, denn selbst wenn ich TV und Zeitschriften meide, lese ich auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn das Fahrgastfernsehen. Aber will ich das überhaupt wissen? Nein! Doch heutzutage ist das fast schon so schlimm, diese Informationen zu verweigern – genauso gut könnte ich behaupten, ich hätte keinen Schulabschluss. Das ist eine richtige Bildungslücke, immerhin handelt es sich hier um einen ganzen Wirtschaftszweig.

Unterm Strich einfach nur scheinheilig – wenn man montags unter dem Deckmantel des investigativen Journalismus‘ darüber berichtet, wie krank und schlecht der Magerwahn der Promis für sie selbst und das geblendete beeinflussbare Publikum ist; und dienstags im selben Magazin voll draufgehalten wird, wenn XY angeblich zu viele Hamburger gefuttert hat und eine Wölbung im Bauchbereich sichtbar wird, die mit bloßem Auge kaum erkennbar ist. Oh Gott, sie trägt Größe 36, wenn wir mal nicht kurz vor Armageddon stehen.

Ich bin wohl zu sehr wissenschaftlich veranlagt, als dass ich Berichte schauen könnte, ohne dass mir auffällt, dass sich dort innerhalb von fünfzehn Minuten drei Mal widersprochen wird, ohne dass es jemandem peinlich wäre, außer mir als Zuschauer. Wer hat denn eigentlich wann beschlossen, dass dummdreiste Boulevard-Reporter so tun dürfen, als seien sie der Nabel der Welt und hätten zu bestimmen, was und wer, wann und wie angesagt ist? Viel schlimmer noch, wann haben wir kapituliert und die Macht (speziell über uns selbst) an DIE abgegeben? Habe ich eine Wahl verpasst? Und was ist das überhaupt für ein Beruf? Nennen die sich überhaupt Reporter? Oder An-fremden-Leben-Schmarotzer? Hausfriedensbrecher oder Privatsphärezerstörer? Menschenwürdetreter? Und wer zum Teufel sind die armen Irren, die nichts lieber wollen, als getreten zu werden?

Auffällig in diesem Kontext ist ja auch die Diskrepanz zwischen eigenem Sein und dem, was man von anderen erwartet. Ist wohl dieselbe Störung, unter der auch die Kandidaten von Castingshows leiden, wenn sie dem Irrglauben unterliegen, singen zu können, dies aber nicht der Fall ist.

Oder unterliegen wir einfach alle dem zwanghaften Wunsch der Beurteilung, um uns selbst einordnen zu können? Ist nur der etwas Wert, der von einer Jury bewertet wurde? Hat nur der gelebt, der von anderen dabei beobachtet wird oder selbst beobachtet?

Mensch, bin ich froh, unter den lebenden Toten, so ganz ohne Zeugen und nur mit meinem inneren Parlament, das über meinen Hausfrieden bestimmt.

Dienstag, 19. Juli 2011

Dorfmädchen?!

Getreu meinem Motto Ein Sommer in der Stadt ist ein verlorener Sommer fuhr ich bereitwillig nach Hause, um das Haus meiner Eltern in deren Abwesenheit zu hüten, insbesondere die Kätzchen, die es zu pflegen galt. Ich konnte es die ganze Woche schon kaum erwarten und ersehnte den Garten, die Sonne und die Stille, die man im Dorf hören kann. Die Zugfahrt nach Haus (überfüllt, übelriechend, üble Nachrede, mir wurde übel) überstand ich mit der Aussicht auf ein ganzes Wochenende nur für mich. Den ersten Abend verbrachte ich sogleich im Schneidersitz im Keller, vor dem Karton, in dem die Kätzchen schliefen, schnurrten und ihr Muttertier von Zeit zu Zeit gierig ansaugten, um danach unbeholfen aus dem Karton zu stolpern. Ich war entzückt, begeistert und verliebt. Und wachte den folgenden Morgen mit schrecklicher Atemnot auf. Vorbei die Zeiten, in denen ich noch mit einer Katze unbeschadet in einem Bett schlafen konnte, so wie ich es früher tat, als ich noch zu Hause wohnte. Wenn Mutti oben die Katze zur Nacht aus der Haustür schmiss, ließ ich sie unten durchs Kellerfenster wieder rein und in meinem Bett nächtigen. Nun musste ich meinen Inhalator anschmeißen, nur weil sich Katzen im selben Haus aufhielten.

Am Sonnabendmorgen ging ich einem anderen Zuhause-Ritual nach: Ich las die Lokalzeitung. Die Welt schien so überschaubar, so attraktiv, so berechenbar, so nach mir rufend. Dann ging ich in den Garten und erntete Möhren und Schnittlauch, Petersilie und Zwiebeln, kochte zum Mittag Kartoffeln und war schlichtweg begeistert von meinem Gartenessen und überzeugt für ein schlichtes Leben geschaffen zu sein. In mir rief die Bäuerin ganz laut, sich möglichst bald wieder in Mecklenburg niederzulassen, was mich dazu veranlasste, die Zeitung nochmals zu lesen, aber diesmal genauestens nach Stellenangeboten meiner Berufsgruppe zu überprüfen und die aktuellen Wohnungsangebote in Augenschein zu nehmen, wobei ich im Kopf bereits Job- und Wohnungsbewerbung ausformulierte. Wie toll das werden würde – mittags um 12:00 Uhr war ich noch felsenfest davon überzeugt. Wenig Nachbarn und flaches Land –  schon meine Uroma wusste es zu schätzen, am Freitag zu sehen, wer sonntags zum Kaffee kommt.

Es wurde 13:00 Uhr und mir langweilig. Ich war schon nackt durchs Haus gelaufen, was ich gern tue, ich hab sogar freiwillig meinen Ein-Personen-Abwasch gemacht, was ich nicht gern tue, die Kätzchen und die Katze nochmal angeguckt, wieder gefüttert und mit einer Freundin telefoniert. Ich rief meinen Freund an, um ihm mitzuteilen, dass wir aufs Land ziehen (verhaltene Begeisterung) und dann legte ich mich in den Garten in die Sonne. Ich war so verdammt ausgeschlafen und erholt, dass mich die Stille ankotzte. Die Katze machte Geräusche, die aus der Küche kamen und für mich undefinierbar waren, bald aber auch wieder aufhörten. Ich versuchte, Anteil am Gespräch der Nachbarn zu nehmen, ich versuchte ein Buch zu lesen, überlegte, ob ich wen besuchen könnte oder was ich überhaupt mit meiner vielen Zeit anfangen konnte. Ich kam auf die Idee das Fernsehprogramm zu studieren, ging ins Haus, an der Küche vorbei und stoppte. Ganz vorbei kam ich nämlich nicht, denn was war DAS??? Die Bodenfliesen waren voller schwarzer Fellfetzen. Oh Gott! Oh Herr! Hat jemand ein kleines Kätzchen zerfetzt? Hab ich nicht ordentlich aufgepasst? Meine Mutter bringt mich um, wenn auch nur ein Fellbüschel an irgendeinem Tier fehlt! Ich ging vorsichtig in die Küche und versuchte den Stand der Dinge zu erfassen. Richtung Küchentisch gab es immer mehr Fell oder waren es Federn?? Hinter dem Tisch lag ein schwarzes Bündel. Es war ein toter Vogel. Hier und da ein paar Blutspritzer. Igitt! Ein Ekelschauer durchkreuzte meinen ganzen Körper. Vor allen Dingen hatte ich Angst, dass der arme Vogel, der scheinbar von unserer Katze erlegt und nun als Trophäe in unsere Küche abgelegt wurde, noch zucken könnte und nur halb tot war. Was haben wir überhaupt für eine unattraktive Kampfkatze? Reicht es denn nicht, dass sie vier Kinder zu versorgen hat? Der Umfang dieser Aufgabe sollte doch auch einer Katze zu schaffen machen! Aber nein, sie macht nebenbei noch unschuldige Vögel platt. Scheiß Viech! Ich suchte erst mal eine Schaufel, denn den Vogel konnte ich unmöglich so anfassen. Mir schien sein Kopf auch nur noch an einem seidenen Faden zu hängen, was sich bei Aufnahme auf die Schippe leider auch bestätigte. Ich begrub ihn im Garten (und warf ihn nicht einfach auf den Misthaufen, wie meine Mutter es mir telefonisch empfahl) und wenig später kratzte ich von den Fliesen einige seiner Innereien, während die Katze nun auch schon wieder aus dem Keller in die Küche stolzierte und für diese Tat gelobt werden wollte. Da bereitete es mir doch ein unglaubliches Vergnügen den Staubsauger anzuschmeißen, um die Federn aus der Küche zu saugen, denn den Staubsauger hasst die Katze.

Ich bekam das Bild gar nicht mehr aus dem Kopf und es schüttelte mich immer mal wieder, so dass ich mich weiteren häuslichen Aufgaben, die mir für das Wochenende übertragen wurden, mit Leidenschaft widmete. Blumen auf der Terrasse und die Tomaten im Gewächshaus gießen. Überall krabbelte was, im Gewächshaus Spinnenweben, bald darauf hatte ich das Gefühl, dass es auch auf mir krabbelt und überall juckt. Ich ging dann nochmal duschen. Und dann wurde mir klar: ICH HAB DIE SEITEN GEWECHSELT!

Es ist nicht mehr zu leugnen: Ich bin städtisch versaut! Ich kann mit Ruhe nicht umgehen und hab das Autofahren verlernt. Ich bin nur noch ganz kurz davor, mich wie die Touristen an der Ostsee, über die ich früher lachte, Tropfen für Tropfen zu befeuchten, anstatt einfach reinzuspringen.

Es blieb nur eins: Der Billigfusel aus der Speisekammer. Da lagert Mutti die Geschenke, die sie selbst nicht will, bis die Gelegenheit kommt, sie an andere weiter zu verschenken oder sie Besuchern anzubieten. Ich war Besucher und hatte dieses Angebot dringend nötig.

Scheinbar bin ich überall ein bisschen zu Hause, aber noch nirgendwo daheim. Das, was das Dorf so attraktiv macht, ist meine Unzufriedenheit in der Stadt und die Sehnsucht. Sehnsucht nach Erinnerungen, die kein Leben mehr sind. Und als ich am Sonntag dann nicht nur mit Atemnot, sondern zu den Katzen auch den Kater hatte, hab ich mich das erste Mal so richtig auf Hamburg gefreut.

Mittwoch, 13. Juli 2011

Trottel wie wir

Nach dem Ausflug in die Stadt war meine Abenteuerlust erst einmal bei Null angelangt. Wieso in die Ferne schweifen? Jetzt, wo ich nach all den ruhelosen Jahren in der Familie endlich eine Art Heimat gefunden habe?
Dennoch ist ja wohl klar, dass in Mecklenburg nur Rentner, Alkoholiker und Leute leben, die keine Ziele haben. Die, die hier weggehen, wissen das schließlich ganz genau! Sie verstehen das Leben. Sie haben alles im Griff. Und natürlich ist es cooler irgendwo anders arbeitslos zu sein, als hier asozial und dorfig zu werden, zu heiraten, arbeiten zu gehen und Kinder zu kriegen, normal zu sein, sich sicher zu fühlen.
„Dass du da nicht verrückt wirst!“ „Wird Zeit, dass du da raus kommst!“ Ich konnte mich vor guten Ratschlägen kaum retten, besonders von meiner Schwester, die mir ihr Leben in der Großstadt als einzig erstrebenswert anpries und selbst allerdings nicht mehr als die Strecke zur Arbeit mit der Bahn unternahm und kaum Freunde dort hatte, geschweige denn Kontakt zur Familie oder sonst wem. Vielleicht ist sie deshalb auch durchgedreht.
Ich konnte das Gejammer auf dem Dorf allerdings auch nicht ertragen, wie Scheiße der Staat sei und die Regierung an allem Schuld. Sind wir verwöhnt? Erwartet man hier zu viel? Denn ist nicht jeder selbst für sein Leben verantwortlich? Früher war nicht alles besser. Es war anders. Und leicht war das Leben bestimmt nie. Ich wollte trotzdem bleiben und gucken was geht, war voller Tatendrang und kaum zu bremsen. So vereinbarte ich freiwillig einen Termin beim Arbeitsamt, um die Möglichkeiten zu erörtern. Ich bereute sogleich. Eine Begrüßung gab es nicht. „Beziehen Sie Leistungen? Sonst sind Sie falsch bei mir!“ Mir war nicht mal erlaubt, ein Praktikum anzutreten. „So was gibt es hier nicht!“ Man könne das privat schon machen, aber ich bräuchte mir nicht einbilden, dass ich dann unfallversichert wäre. Sie erfragte meinen Lebenslauf und welche Arbeit ich anstreben würde. Ich erzählte von meinen drei abgeschlossenen Ausbildungen, wobei sie mich darauf aufmerksam machte, sie könne nur einen Vermittlungsberuf eintragen, und mein Lebenslauf sei zu lang für ihr Computerprogramm. „Beileibe, und das mit dem Büro ist ja schon ein paar Jährchen her!“ Warum ich danach ausgerechnet Erzieherin geworden sei…? „Ihr Beruf stirbt sowieso aus!“ Dabei war ich mir sicher, erst kürzlich etwas über mangelnde Flexibilität bei Arbeitnehmern gelesen zu haben. Doch schien mir das Amt gar nicht auf flexible Leute vorbereitet zu sein, allein, wenn ich bedenke, dass die Bearbeitungszeit für ALLES mindestens sechs Wochen beträgt und man aber andererseits nicht drum rumkommt, weil ALLES schriftlich erbettelt werden muss, wie sie mich noch belehrte. Sie gab mir acht Stellenangebote mit, darunter eine Praktikantenstelle, die das abgeschlossene Vordiplom im Tourismusbereich voraussetzte. Nun gut, ich konnte einiges vorweisen, aber dies nicht. Als ich dies zu bedenken gab, fühlte sie sich berufen, mir noch einmal mitzuteilen, dass „Wir fordern und fördern KÖNNEN!“ Sie sprach über Sanktionen, schließlich müssten die meisten Jugendlichen (danke, dass ich noch dazu gezählt wurde) zu ihrem Glück gezwungen werden, über Eingliederungsvereinbarungen und machte mich nebenbei immer wieder durch ein paar Spitzen nieder, bis mir schließlich der Kragen platzte. Daraufhin erzählte sie mir, dass sie selbst fünfzehn Jahre Erzieherin gewesen sei, und sie bei mir wohl nichts zu befürchten hätte, da ich wohl sehr bemüht wäre. Außerdem würde ihr Sohn am Wochenende heiraten und sie hätte ein vierjähriges Pflegekind und wünsche mir auf jeden Fall viel Erfolg. Und den Job im Amt würde sie ohnehin nur machen, weil sie hier untergebracht worden sei. Die Stadt braucht sie nicht mehr als Erzieherin, muss sie aber vertraglich weiter beschäftigen. Und nun sei sie dort und könne mir nur ans Herz legen, doch auch in den Westen zu gehen, so wie alle klugen Leute…

Freitag, 1. Juli 2011

Festivalschlampe

Oh, ich bin so abgenervt. Es ist der erste Tag nach meinem Urlaub und ich habe schon wieder die Nase voll. Dabei habe ich höchstens zwei Stunden so getan, als würde ich arbeiten, und bin dann in die Uni-Mensa gefahren, um mir anschließend die Sonne an der Alster auf den Bauch scheinen zu lassen, mir einen Kaffee zu holen und gleiches in Planten un Blomen zu tun. Das Leben ist eben kein Wunschkonzert, denn, wenn es das wäre, dann würde ich jetzt mit Brandon Boyd im Cabrio die kalifornische Küste entlang fahren und er mir ein - eigens für mich komponiertes - Lied vortragen. Stattdessen laufe ich im Hamsterrad.
Wenn ich mir überlege, dass ich noch über vierzig Jahre arbeiten soll, mir aber jetzt – gerade mal zwei Jahre nach Abschluss des Studiums – eigentlich schon sicher bin, dass dies nicht mein Leben ist! Wann ist das wie passiert und so geworden? Und komischerweise denke ich den ganzen Tag an das Lied, das meine Mutter früher immer gehört hat: Sehnsucht ist unheilbar. Ich glaub das, denn ich sehe mich ja auch immer noch im Cabrio fahren, mit dem Wind im offenen Haar… Gut, sonst sehe ich nicht viele Gemeinsamkeiten zwischen mir und Juliane Werding. Aber war es von vorneherein ein Irrtum zu glauben, ich hätte die Hauptrolle in einem Film, meinem Leben, und mir wird schon immer etwas Spannendes passieren? Manche Filme sind ja auch scheiße langweilig, weil die Drehbuchautoren und Regisseure nicht so ganz talentiert sind. Wahrscheinlich bin ich eine von ihnen, ohne es bisher bemerkt zu haben. Und nun werden alle Menschen zu anstrengenden Fratzen und die Stadt zu meinem Gefängnis. Vielleicht sind Festivalschlampe, Weltreisende, Abenteurerin, Surferin und Romantikerin auch einfach keine Berufe, mit denen man es in dieser Welt zu was bringt. Ich hätte gleich stutzig werden müssen, als es dafür damals nach der Schule keine Ausbildungsplätze gab. Gestern bei der Wohnungssuche, die ich offiziell gerade betreibe, ging mir plötzlich das Licht auf, dass ich überhaupt keine Wohnung will. Nicht die, die ich jetzt habe, und auch keine andere. Ich glaube, die Wohnung ist schuld. Sobald man anfängt, alleine zu wohnen, ist alles nur noch Wohnung. Das Leben besteht aus Miete bezahlen, Rauchmeldermonteuren, Wasserzählerablesern, Fensterputzen, sauber machen, einkaufen (unter Beobachtung aufmerksamer Nachbarn), aus Waschmaschinen, Terminkalendern, Steuererklärung und geplanten Urlauben, meist verplant.
Soll ich morgen abhauen und gehen wohin ich will?
Soll ich die Papiere holen und machen was ich will?
Soll ich mir n Schuss machen und von allem nichts mehr sehen?
Ich möchte endlich frei sein, aber wohin soll ich gehen?
Ich bin kurz davor, all meine Sachen auf die Straße zu stellen und einfach loszugehen, frei zu sein – aber wohin, weiß ich genau so wenig wie Rio Reiser.

Sonntag, 5. Juni 2011

Aber morgen...

Ist ja fett und Fett MTV! Aber richtig fett will keiner sein. Auch nicht im Jahr 2000. Das ist genau wie mit einer Brille, aber ne Sonnenbrille trägt man schon im Schatten. Jedenfalls mache ich ab morgen Diät.

Eine hochwertige Trinkmahlzeit mit Vitaminen, Proteinen, Mineral- und Ballaststoffen steht bereit. Lecker. Sogar Geschmacksrichtung Schoko. Wenn schon abnehmen, dann mit Spaß. Den habe ich nicht lange, denn schnell ist das Geheimnis des Diätgetränks gelüftet: Magenkrämpfe, tränende Augen, Übelkeit, Dauersitzungen auf Toilette. Kein Wunder, da denkt doch kein Mensch mehr ans Essen. Meine Schwester findet mich kalkweiß vor und fragt erschrocken, was denn mit mir los sei. Zum Antworten komme ich erst einmal nicht... Stunden später erkundigt sie sich, ob es mir besser ginge, worauf mein Bruder sagt, ich würde mich wenigstens schon wieder ein wenig von der Tapete abheben. Hahaha! Letztendlich habe ich beschlossen, dass ich mir Essen verdient habe. Irgendwie muss ich doch wieder zu Kräften kommen und den Diätdrinkgeschmack loswerden. Aber morgen!

Morgen ist mir noch nicht richtig gut und überhaupt... Zwar kriege ich vor Fett keine Luft, aber die Menstruation. Der Feind einer jeden Diät. Schokolade, Eis. Abends sehe ich TV total: Rutscher oder Lutscher. Da leuchtet mir wieder ein, ich sollte abnehmen. Bei mir müsste die Sendezeit verlängert werden. Ein Rutscher wäre ich nicht. Zum Rutschen würde ich nicht kommen, denn mein Fett würde vorzeitig das Treppengeländer umschließen und so käme ich niemals unten an. Gleich morgen koche ich mir den Blitz-Diät-Eintopf.

Ja, morgen. So schlecht kann es mir gar nicht gehen, dass ich den nochmal anrühre oder auch nur daran rieche. Okay, am besten den Hunger wegsaufen. Ja, Wasser! Mehr! Sport soll auch helfen. Uh, ich niese. Krankheit wäre nicht schlecht, da hat man keinen Hunger. Ach, ich rauche erst mal eine. Soll das Verlangen nach Nahrung ja auch hemmen.

Und Sport. Ich entscheide mich fürs Schwimmen. Bloß nicht mit dem Auto zum See. Da nehm ich lieber gleich das Fahrrad. Abnehmen im Alltag. Nur der Nachbarort wäre zu billig, wenn schon Bewegung, dann richtig. Etliche Kilometer zu meinem Lieblingsbadesee, Verzicht auf Gangschaltung (eher der Tatsache geschuldet, dass mein Fahrrad noch aus Karl-Marx-Stadt stammt) und andere Annehmlichkeiten, pralle Sonne, Wind von vorn (aber den hat man ja eigentlich immer). Ich hätte quasi auch zum Plattensee fahren können und erntete schon Spott als ich von meinem Vorhaben beim Frühstück erzählte. Dieser spöttische Das-schafft-die-nie-Blick. Wir werden sehen.

Bereits nach zwei Kilometern japse ich wie eine Oma mit Lungenschaden. Mein Arsch schmerzt, ich schwitze. Kurzum, ich kann nicht mehr. Stunden später erreiche ich den See. Abkühlung. Ich schwimme, wie ich es kürzlich bei den Schwimmmeisterschaften im Fernsehen beobachten konnte. Eine Stunde. Na, und die haben doch auch schöne Körper! Ich bin auf dem richtigen Weg.

Frisch und munter trete ich die Rückfahrt an. Tour de France - ich komme! An dieser Stelle möchte ich doch alle Kinder oder wen auch immer noch einmal ausdrücklich ermahnen, nicht einmal daran zu denken, auch nur irgendetwas, das im Fernsehen läuft, nachmachen zu wollen. Unterwegs stellte ich jedenfalls aufwachend fest, dass ich tot bin. Ich muss wohl einfach vom Rad abgefallen sein.

Der ein oder andere könnte durchaus auf die Idee kommen, ich langweile mich, aber da kann ich noch eins draufsetzen. Ich habe mich dann auch noch dazu hinreißen lassen, am Folgetag eine Radtour mit meinen Eltern zu machen. Ich konnte es kaum fassen, dass mein Stiefvater fitter ist als ich. Da ich nicht einmal halb so alt bin, konnte ich es mir natürlich nicht erlauben, Schwäche zu zeigen und spielte mal wieder Jan Ullrich. Am Ziel angekommen, hatte ich erneut eine Vorstellung von der Tour de France. Nach kurzer Erholung sprang ich in die Fluten des nahe gelegenen Baches und absolvierte ein Olympia-Schwimmtraining, immer dazu bereit zu beweisen, dass ich jung und drahtig bin. Vielleicht hätte ich mir da schon mal ins Gehirn rufen sollen, dass ich auch noch irgendwie zurück muss. Ich danke meinem Körper - ich habe es geschafft. Dass ich meinen Arsch nicht mehr spürte oder eigentlich spürte ich ihn schmerzlich, muss ich wohl nicht extra betonen. Das schöne an der Tour war, dass ich meine Mutter nebst Mann mehrmals ermahnte, sich auch schön einzucremen, wegen der Sonne, was die beiden dennoch nicht taten. Ich hingegen war die fleischgewordene Cremewurst auf zwei Beinen und die einzige, die letztendlich einen Gesichtssonnenbrand davon trug. Das hat sehr zur Erheiterung der beiden älteren Menschen beigetragen, die sich meine Eltern nennen.

Aber das alles war mir noch nicht Anstrengung genug. Während ich schlief, brachte ich nachts dann noch mal spontan Zwillinge zur Welt. Das kuriose daran war, dass mich der Arzt nach dem ersten Kind wieder nach Hause schickte, weil das zweite Baby noch keine Lust hatte. Ich brachte es zwei Tage später bei meiner besten Freundin im Bad zur Welt.

Ja, und dann das Treffen mit genau dieser Freundin. Sie, die Dauerdiät hält, die Prophetin der Disziplin. Gerade ihr habe ich großspurig von meinen Plänen berichtet. Und so fragte ich mich bereits nach einer Stunde: Mein Gott, wie lange will die denn noch durchhalten? Gibt es Menschen, die einfach nie Hunger haben? Bloß nicht zuerst essen oder den Hunger zugeben! Ich finde zeitnah einen Vorwand für mein Verschwinden.

Ich will so bleiben wie ich bin! Elf Jahre und viele Leckereien später gilt das immer noch.