Sonntag, 30. März 2014

Salut!


 
 
Viele Urlaubsgrüße von der dicken Frau, die gerade an der Côte d'Azur weilt und sich ausschließlich von Eclair und Crêpes ernährt. Abreise absolut unerwünscht, aber wohl doch ratsam, wenn ich nicht an Herzverfettung sterben möchte oder an Alkoholismus (J'adore vin rouge!). Damit entspreche ich wohl jedem Klischee des Frankreich-Urlaubenden. Das einzige, was mir jetzt noch fehlt, ist ein riesengroßer Kaffee. Hier gibt es selbst den Café au lait in Espresso-Tassen. Wo sind denn bitte die klischeemäßigen Schalen, aus denen der Franzose im Fernsehen Kaffee trinkt?

Hier ist selbst die Erkältung, die ich seit Wochen mit mir rumschleppe, nicht so nervig. Obwohl ich meine Stimme am Dienstag verloren habe. Hat auch sein Gutes: So konnte ich am Donnerstag stralle und glücklich in der Galeries Lafayette sitzen, verursacht durch ekelhaft schmeckenden französischen Hustensaft. Und: So fällt gar nicht auf, dass ich trotz monatelanger Vorbereitung kaum Konversation betreiben kann. Vielleicht sollte ich in Erwägung ziehen, französisch sprachbehindert zu sein. Immerhin klappt es mit Bestellungen, auch wenn ich Rückfragen kaum verstehe. Ich glaube, diese Sprachbehinderung hat schon dazu geführt, dass zwar alle total nett zu mir sind und mich très jolie finden, aber irgendwie bin ich very fast very broken. Hat der Airport Express letztes Mal nicht nur ein Euro gekostet? Dieses Mal habe ich sechs bezahlt! Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob ich seit Tagen mit der richtigen Fahrkarte in schmutzigen französischen Zügen unterwegs bin. Who cares? Jedenfalls nicht die überall in Scharen auftretenden amerikanischen Schüler, die ich insgeheim beneide. Klassenfahrten nach Übersee. So eine Schule hätte ich auch gern besucht.

Ich bin gerade zu Besuch bei der Familie meines Freundes. So viele Gänge habe ich noch nie gegessen. Ein französisches Mittagessen zieht sich. Und das alles bei angenehmen Temperaturen und Rotweinstimmung.

Je n'aime pas travailler...

A bientôt! Au revoir.

Samstag, 15. März 2014

Also, ich könnte das nicht!


Es ist mal wieder soweit: Zeit, dass der nächste Urlaub beginnt. Diese Woche habe ich eine junge Frau begutachtet, die sich vorher quasi selbst abgeschlachtet hat. Gestern hatte ich Kontakt zu Mutter Erde und am Montag werde ich die Reinkarnation von Jesus treffen, die aber eigentlich nicht in ihrer spirituellen Arbeit zur Errettung der Welt gestört werden will. Also, langweilig ist mein Beruf nicht. Tauschen will trotzdem keiner. Ich weiß nicht, wie oft ich schon gehört hab: Also, ich könnte das nicht! Gerade heute beim Mittagessen mit einer Freundin wieder folgendes: Deine Fälle sind ja mehr als gruselig! Du hast echt nen heftigen Job. Ich hab sehr viel Respekt davor. Ich weiß, dass ich das nicht könnte! Mich bringen die Lebensgeschichten von den Leuten hier schon um den Schlaf und ich wünschte, es würde mir nicht jeder sein Herz ausschütten!

Manchmal denk ich auch, ich kann es nicht (mehr). Kritisch wird es immer dann, wenn man schon morgens in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit überall Betroffene sieht, die real existieren, einen aber leider nicht am Arsch vorbeigehen, sondern schon strapazieren, bevor die eigentliche Arbeitsstelle erreicht ist: Selbstgesprächler im Bus, junge geistig eingeschränkte Dame mit Gehwagen und Highheels, Leute mit Sonnenbrille, die denken, man würde nicht merken, wenn sie einen anstarren (ein bisschen so, als ob sich ein Kind die Augen zuhält und infolge dessen glaubt, es sei unsichtbar) und Menschen, die dir beim Aussteigen aus der U-Bahn vor die Füße rotzen, um sich darüber richtig zu freuen. Je nachdem, wie viel Elend mir die Arbeitswoche beschert hat, variieren meine (Gewalt-)Phantasien zur Abwehr von sozialpädagogischer Arbeit in der Freizeit. Da ist von Teetrinken bis Baseballkeule alles dabei.

Im Grunde ist es ja auch unglaublich, dass ich völlig allein zu völlig fremden Menschen in die Wohnung gehe, um mit ihnen zu sprechen. Wenn ich vorher im Auftrag schon lese, dass sie oder er fremdgefährdend ist, dann versuche ich natürlich ins Büro einzuladen, wo ich im Notfall um Hilfe schreien kann (und hoffentlich ein Kollege kommt, um diese zu leisten). Kritisch wird es natürlich, wenn Menschen gefährlich sind, ich das vorher aber nicht weiß. Bisher hatte ich - Gott sei Dank - wenige angstmachende Situationen, selbst bei denen, die als gefährlich beschrieben wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es eklig wird, ist da schon höher: Messiewohnungen oder Menschen, die ohne Scheu körperlichen Pilzbefall zur Schau stellen und von massivem Durchfall sprechen. Was mir aber am meisten zu schaffen macht, ist die Verantwortung. Ich denke immer, egal, wie durchgeknallt oder was auch immer die Leute sind, wenn ich selber in eine solche Situation komme, dann möchte ich doch bitte auch an eine Person geraten, die mich ernst nimmt und zuhört und zu meinem Wohl entscheidet. Und das ist manchmal nicht so leicht. Ich finde, da ist ein bisschen Anspannung wohl erlaubt und Entspannung in der Freizeit mehr als verdient. Doch will sich das Elend einfach nicht daran halten und läuft mir ungestraft auch am Wochenende über den Weg - oder eben vor und nach der Arbeit. Das führt dann dazu, dass ich privat überhaupt keine Probleme wälzen will (und ich finde, gemessen an dem, was ich den ganzen Tag sehe und höre, auch keine Probleme habe, genau wie alle Menschen in meiner Familie oder im Freundeskreis). Da gibt man dann privat Ratschläge, wie: Reiß dich mal zusammen! und wird mehr als sozial inkompetent. Und, wenn es wieder genau so ist, dann denk ich: Also, ich kann das nicht! Da spricht mich dann jedes Jobangebot an, wie Schäfer, Friedhofsgärtner oder - gerade gefunden - Roboterprogrammiererin. Geil, will ich alles werden! Hauptsache mir geht keiner mehr auf den Sack für die drei Mark fünfzig im Monat. Und wenn ich dann für eine Mark fünfzig in den Urlaub gefahren bin und wieder gerade gerückt, muss ich feststellen, dass ich gar nichts anderes kann und wahrscheinlich ausrasten würde, wenn ich den ganzen Tag Schafe zählen müsste oder Akten von A nach B schieben würde.

Hallo Mensch, mit all deinen Abgründen: Ich kann es doch! (Und ich liebe es.)

Freitag, 7. März 2014

Follow me! I’m TOP IT GIRL.


Ich weiß nicht, was mich dazu trieb. Langeweile, weil ich aufgrund eines bisher nicht näher bestimmbaren Infektes, der möglicherweise ansteckend ist, aus dem Verkehr gezogen wurde, oder war es einfach der Anblick von Ozzy Osbourne vorletzte Nacht, der Anblick von Dekaden langer Drogensucht, der mich selbst stoned werden ließ? God bless Ozzy Osbourne!

Ich fand es plötzlich jedenfalls eine tolle Idee eine andere Persönlichkeit anzunehmen und diese auf Twitter zu präsentieren. Na ja, wenn man es genau nimmt, eine Person ohne Persönlichkeit: Top it girl. Dieser Name ist mir auf Toilette eingefallen, weil es ja einerseits wirklich die Krönung ist und andererseits unbedingt it girl enthalten sein sollte. Zuvor hatte ich gerade einen Artikel gelesen, in dem es darum ging, wie sehr die Buchindustrie lügt, um Bücher zu verkaufen. ("Filmrechte schon an 20th Century Fox verkauft" oder "New York Times Bestseller" - Es versteht sich von selbst, dass auf meinen Blog beides zutrifft ;)) Mit it girl verkauft sich im Moment ja scheinbar alles. Kann ich mich selbst verkaufen? Meine Oma hat schon immer gesagt, dass die Leute beschissen werden wollen. Na, dann mal los!

Ich hatte mich noch kaum angemeldet, sprich den Namen eingegeben, da hatte ich schon drei Follower. In den ersten zehn Minuten kam ich bereits auf vier. Ich folgte schnell mal allen Dummbratzen, die girls sind und mit it (was auch immer das ist) Geld verdienen, also allen, die ich verabscheue. Ich zündete ein Feuerwerk der Belanglosigkeiten, gab mich als ‘columnist, blogger, traveler‘ aus und lud dazu mal ein schönes Palmenbild für den Hintergrund hoch und eins mit wallender blonder Mähne am Meer als Profilbild. It's never too late to live your dreams. Selbstverständlich wohne ich sowohl in den USA als auch in Germany. Und, was soll ich sagen, ruckzuck folgten mir Menschen aus Idaho und Kentucky, die aussehen wie Tripel-Versionen von Daniela Katzenberger. Oder Bobbi aus Schottland, wo ich gar nicht so genau weiß, welchem Geschlecht er/sie/es angehört - sieht n bisschen aus wie Tokio Hotel.

Ich tweetete mich in Rage. Yeah! I like it! I have fun! Ein bisschen schizophren, denn ich war auf einmal top it girl und kurz davor mir die Nägel machen zu lassen und zum Friseur zu gehen und Bilder davon zu posten. Ich verlinkte und verhashtaggte alle Follower und begrüßte sie persönlich.

Nachmittags war ich schon so fertig, dass ich erst mal ein Nickerchen machte. Und, was soll ich sagen? Top it girl ist dem Schlaf erlegen und hat abends dann noch ihren Twitter Account gelöscht, an den bereits zahlreiche Onlineshops gemailt hatten. Please add me and take a look on my website.

Oh, Oma, die Leute wollen wirklich beschissen werden. Denken ist out. Da müh ich mich jahrelang ab und hab genau drei Leser, von denen einer ich selbst bin und top it girl beeindruckt allein durch nicht beeindruckende Präsenz. Bloße Versprechungen reichen aus.

Und? Kann ich mich selbst verkaufen? Ja, wenn ich alles hinterm Berg halte, was mich ausmacht. Und nein, auf keinen Fall. Ich halt es nicht aus!! Und das ist gut so. Mein Fazit: Es ist quasi ein Leichtes eine Gefolgschaft von Dummbratzen, Verzweifelten und anderen Suchenden aufzubauen,  aber schwer ist, Menschen zu finden, die auch lesen können... Top it girls Zielgruppe wird niemals meine sein. Aber vielleicht versuche ich es demnächst mit einem Kompromiss und kündige mich selbst erst mal als Germany's next topblogger an. Wenn's hilft ;)