Dienstag, 19. Juli 2011

Dorfmädchen?!

Getreu meinem Motto Ein Sommer in der Stadt ist ein verlorener Sommer fuhr ich bereitwillig nach Hause, um das Haus meiner Eltern in deren Abwesenheit zu hüten, insbesondere die Kätzchen, die es zu pflegen galt. Ich konnte es die ganze Woche schon kaum erwarten und ersehnte den Garten, die Sonne und die Stille, die man im Dorf hören kann. Die Zugfahrt nach Haus (überfüllt, übelriechend, üble Nachrede, mir wurde übel) überstand ich mit der Aussicht auf ein ganzes Wochenende nur für mich. Den ersten Abend verbrachte ich sogleich im Schneidersitz im Keller, vor dem Karton, in dem die Kätzchen schliefen, schnurrten und ihr Muttertier von Zeit zu Zeit gierig ansaugten, um danach unbeholfen aus dem Karton zu stolpern. Ich war entzückt, begeistert und verliebt. Und wachte den folgenden Morgen mit schrecklicher Atemnot auf. Vorbei die Zeiten, in denen ich noch mit einer Katze unbeschadet in einem Bett schlafen konnte, so wie ich es früher tat, als ich noch zu Hause wohnte. Wenn Mutti oben die Katze zur Nacht aus der Haustür schmiss, ließ ich sie unten durchs Kellerfenster wieder rein und in meinem Bett nächtigen. Nun musste ich meinen Inhalator anschmeißen, nur weil sich Katzen im selben Haus aufhielten.

Am Sonnabendmorgen ging ich einem anderen Zuhause-Ritual nach: Ich las die Lokalzeitung. Die Welt schien so überschaubar, so attraktiv, so berechenbar, so nach mir rufend. Dann ging ich in den Garten und erntete Möhren und Schnittlauch, Petersilie und Zwiebeln, kochte zum Mittag Kartoffeln und war schlichtweg begeistert von meinem Gartenessen und überzeugt für ein schlichtes Leben geschaffen zu sein. In mir rief die Bäuerin ganz laut, sich möglichst bald wieder in Mecklenburg niederzulassen, was mich dazu veranlasste, die Zeitung nochmals zu lesen, aber diesmal genauestens nach Stellenangeboten meiner Berufsgruppe zu überprüfen und die aktuellen Wohnungsangebote in Augenschein zu nehmen, wobei ich im Kopf bereits Job- und Wohnungsbewerbung ausformulierte. Wie toll das werden würde – mittags um 12:00 Uhr war ich noch felsenfest davon überzeugt. Wenig Nachbarn und flaches Land –  schon meine Uroma wusste es zu schätzen, am Freitag zu sehen, wer sonntags zum Kaffee kommt.

Es wurde 13:00 Uhr und mir langweilig. Ich war schon nackt durchs Haus gelaufen, was ich gern tue, ich hab sogar freiwillig meinen Ein-Personen-Abwasch gemacht, was ich nicht gern tue, die Kätzchen und die Katze nochmal angeguckt, wieder gefüttert und mit einer Freundin telefoniert. Ich rief meinen Freund an, um ihm mitzuteilen, dass wir aufs Land ziehen (verhaltene Begeisterung) und dann legte ich mich in den Garten in die Sonne. Ich war so verdammt ausgeschlafen und erholt, dass mich die Stille ankotzte. Die Katze machte Geräusche, die aus der Küche kamen und für mich undefinierbar waren, bald aber auch wieder aufhörten. Ich versuchte, Anteil am Gespräch der Nachbarn zu nehmen, ich versuchte ein Buch zu lesen, überlegte, ob ich wen besuchen könnte oder was ich überhaupt mit meiner vielen Zeit anfangen konnte. Ich kam auf die Idee das Fernsehprogramm zu studieren, ging ins Haus, an der Küche vorbei und stoppte. Ganz vorbei kam ich nämlich nicht, denn was war DAS??? Die Bodenfliesen waren voller schwarzer Fellfetzen. Oh Gott! Oh Herr! Hat jemand ein kleines Kätzchen zerfetzt? Hab ich nicht ordentlich aufgepasst? Meine Mutter bringt mich um, wenn auch nur ein Fellbüschel an irgendeinem Tier fehlt! Ich ging vorsichtig in die Küche und versuchte den Stand der Dinge zu erfassen. Richtung Küchentisch gab es immer mehr Fell oder waren es Federn?? Hinter dem Tisch lag ein schwarzes Bündel. Es war ein toter Vogel. Hier und da ein paar Blutspritzer. Igitt! Ein Ekelschauer durchkreuzte meinen ganzen Körper. Vor allen Dingen hatte ich Angst, dass der arme Vogel, der scheinbar von unserer Katze erlegt und nun als Trophäe in unsere Küche abgelegt wurde, noch zucken könnte und nur halb tot war. Was haben wir überhaupt für eine unattraktive Kampfkatze? Reicht es denn nicht, dass sie vier Kinder zu versorgen hat? Der Umfang dieser Aufgabe sollte doch auch einer Katze zu schaffen machen! Aber nein, sie macht nebenbei noch unschuldige Vögel platt. Scheiß Viech! Ich suchte erst mal eine Schaufel, denn den Vogel konnte ich unmöglich so anfassen. Mir schien sein Kopf auch nur noch an einem seidenen Faden zu hängen, was sich bei Aufnahme auf die Schippe leider auch bestätigte. Ich begrub ihn im Garten (und warf ihn nicht einfach auf den Misthaufen, wie meine Mutter es mir telefonisch empfahl) und wenig später kratzte ich von den Fliesen einige seiner Innereien, während die Katze nun auch schon wieder aus dem Keller in die Küche stolzierte und für diese Tat gelobt werden wollte. Da bereitete es mir doch ein unglaubliches Vergnügen den Staubsauger anzuschmeißen, um die Federn aus der Küche zu saugen, denn den Staubsauger hasst die Katze.

Ich bekam das Bild gar nicht mehr aus dem Kopf und es schüttelte mich immer mal wieder, so dass ich mich weiteren häuslichen Aufgaben, die mir für das Wochenende übertragen wurden, mit Leidenschaft widmete. Blumen auf der Terrasse und die Tomaten im Gewächshaus gießen. Überall krabbelte was, im Gewächshaus Spinnenweben, bald darauf hatte ich das Gefühl, dass es auch auf mir krabbelt und überall juckt. Ich ging dann nochmal duschen. Und dann wurde mir klar: ICH HAB DIE SEITEN GEWECHSELT!

Es ist nicht mehr zu leugnen: Ich bin städtisch versaut! Ich kann mit Ruhe nicht umgehen und hab das Autofahren verlernt. Ich bin nur noch ganz kurz davor, mich wie die Touristen an der Ostsee, über die ich früher lachte, Tropfen für Tropfen zu befeuchten, anstatt einfach reinzuspringen.

Es blieb nur eins: Der Billigfusel aus der Speisekammer. Da lagert Mutti die Geschenke, die sie selbst nicht will, bis die Gelegenheit kommt, sie an andere weiter zu verschenken oder sie Besuchern anzubieten. Ich war Besucher und hatte dieses Angebot dringend nötig.

Scheinbar bin ich überall ein bisschen zu Hause, aber noch nirgendwo daheim. Das, was das Dorf so attraktiv macht, ist meine Unzufriedenheit in der Stadt und die Sehnsucht. Sehnsucht nach Erinnerungen, die kein Leben mehr sind. Und als ich am Sonntag dann nicht nur mit Atemnot, sondern zu den Katzen auch den Kater hatte, hab ich mich das erste Mal so richtig auf Hamburg gefreut.