Freitag, 1. Juli 2011

Festivalschlampe

Oh, ich bin so abgenervt. Es ist der erste Tag nach meinem Urlaub und ich habe schon wieder die Nase voll. Dabei habe ich höchstens zwei Stunden so getan, als würde ich arbeiten, und bin dann in die Uni-Mensa gefahren, um mir anschließend die Sonne an der Alster auf den Bauch scheinen zu lassen, mir einen Kaffee zu holen und gleiches in Planten un Blomen zu tun. Das Leben ist eben kein Wunschkonzert, denn, wenn es das wäre, dann würde ich jetzt mit Brandon Boyd im Cabrio die kalifornische Küste entlang fahren und er mir ein - eigens für mich komponiertes - Lied vortragen. Stattdessen laufe ich im Hamsterrad.
Wenn ich mir überlege, dass ich noch über vierzig Jahre arbeiten soll, mir aber jetzt – gerade mal zwei Jahre nach Abschluss des Studiums – eigentlich schon sicher bin, dass dies nicht mein Leben ist! Wann ist das wie passiert und so geworden? Und komischerweise denke ich den ganzen Tag an das Lied, das meine Mutter früher immer gehört hat: Sehnsucht ist unheilbar. Ich glaub das, denn ich sehe mich ja auch immer noch im Cabrio fahren, mit dem Wind im offenen Haar… Gut, sonst sehe ich nicht viele Gemeinsamkeiten zwischen mir und Juliane Werding. Aber war es von vorneherein ein Irrtum zu glauben, ich hätte die Hauptrolle in einem Film, meinem Leben, und mir wird schon immer etwas Spannendes passieren? Manche Filme sind ja auch scheiße langweilig, weil die Drehbuchautoren und Regisseure nicht so ganz talentiert sind. Wahrscheinlich bin ich eine von ihnen, ohne es bisher bemerkt zu haben. Und nun werden alle Menschen zu anstrengenden Fratzen und die Stadt zu meinem Gefängnis. Vielleicht sind Festivalschlampe, Weltreisende, Abenteurerin, Surferin und Romantikerin auch einfach keine Berufe, mit denen man es in dieser Welt zu was bringt. Ich hätte gleich stutzig werden müssen, als es dafür damals nach der Schule keine Ausbildungsplätze gab. Gestern bei der Wohnungssuche, die ich offiziell gerade betreibe, ging mir plötzlich das Licht auf, dass ich überhaupt keine Wohnung will. Nicht die, die ich jetzt habe, und auch keine andere. Ich glaube, die Wohnung ist schuld. Sobald man anfängt, alleine zu wohnen, ist alles nur noch Wohnung. Das Leben besteht aus Miete bezahlen, Rauchmeldermonteuren, Wasserzählerablesern, Fensterputzen, sauber machen, einkaufen (unter Beobachtung aufmerksamer Nachbarn), aus Waschmaschinen, Terminkalendern, Steuererklärung und geplanten Urlauben, meist verplant.
Soll ich morgen abhauen und gehen wohin ich will?
Soll ich die Papiere holen und machen was ich will?
Soll ich mir n Schuss machen und von allem nichts mehr sehen?
Ich möchte endlich frei sein, aber wohin soll ich gehen?
Ich bin kurz davor, all meine Sachen auf die Straße zu stellen und einfach loszugehen, frei zu sein – aber wohin, weiß ich genau so wenig wie Rio Reiser.