Dienstag, 29. September 2015

Mein dunkles Geheimnis


Ich habe ein ganz dunkles Geheimnis, aber heute mache ich reinen Tisch. Ich bin ein Wirtschaftsflüchtling, von besorgten Bürgern auch Wohlstandsflüchtling genannt. Ich bin vor Jahren – perfide getarnt als Muttersprachler – in Hamburg eingereist. Und außer Heimweh hatte ich nichts. Nicht mal ein schlechtes Gewissen.

Also, bin ich ein Flüchtling von der ganz schlimmen Sorte. Obwohl man in meinem Bundesland weder Krieg führt noch an Armut stirbt und es damit als sicheres Herkunftsland gilt, habe ich es verlassen. Ich wollte irgendwie ein anderes Leben – und total überzogen und egoistisch – mehr Auswahl bei der Arbeitsplatzsuche und auch mal ein bisschen Geld verdienen.

Ganz in diesem Sinne nahm ich den Hamburgern erstmal einen Studienplatz weg und später dann auch einen Arbeitsplatz. Damit nicht genug. Ich habe auch nicht einfach nur studiert. Ich habe ihr BAföG genommen und ihnen anschließend nur die Hälfte zurückbezahlt! Schmarotzer!

Und, wenn es mal nicht so läuft in Hamburg, wie ich es mir vorstelle, meckere ich rum. Man hat ja so seine Ansprüche.

Und, all das kann ich noch toppen: Denn ich habe mich nebenbei vermehrt. Ja, noch mehr von der Sorte. Denn ja, oft bringen wir Flüchtlinge unseren ganzen Eierstock mit oder kriegen vor Ort am laufenden Band Kinder.

Ich wohne auch nicht mehr in meiner ersten Absteige, in der mich eine Freundin beherbergt hat. Ich habe ganz frech nach der schönen Wohnung gegriffen, kaum, dass sie auf den Markt geworfen wurde.

Nach all dem darf ich doch nur noch meine Abschiebung erwarten.

Donnerstag, 10. September 2015

Pädagogisch wertvoll


Gespräch beim Arbeitsamt, was vermutlich gar nicht mehr so heißt, aber egal... Rein in den Beruf und Wiedereinstieg und so. Wir sind da die Richtigen. Aber flexibel sollten Sie schon sein. Was sind Sie denn von Beruf?

Bereits beim Zweitgenannten fällt sie ihr ins Wort. 

Also, in meine Suchmaske passt hier nur ein Begriff und beileibe (...dass es dieses Wort noch gibt?!), die Ausbildung ist ja wohl schon ‘ne Weile her... Nehmen wir mal das Erste. Wird gerade sowieso wie Sau gesucht. Haben Sie gute Chancen.

Als sie (beileibe) einwerfen möchte, dass auch diese Ausbildung schon LANGE her ist und eher Interesse besteht, sich als Tagesmutter selbstständig zu machen, weil das gerade am besten zu ihrer Lebenssituation passt: Vereinbarkeit von Beruf und Familie und so... 

Ja, dann sind Sie hier aber ganz falsch. Da müssen Sie woanders hin. (Wo genau weiß sie jetzt auch nicht.) Rufen Sie doch mal beim Bezirksamt an.

Tja, und dann sitzt sie im Bezirksamt und die freundliche Beraterin in Tagesmutterangelegenheiten möchte ihr ans Herz legen, dass sie - sollte Interesse an der Tätigkeit als Tagesmutter bestehen - erst noch eine Art Ausbildung machen muss. Das ist Vorschrift. Dass sie bereits Erzieherin ist, beeindruckt nicht. Auch nicht das Studium der Sozialpädagogik. Und auch nicht, dass sie den Kurs wahrscheinlich abhalten könnte. Wenn Sie einen Quereinstieg in den pädagogischen Bereich anstreben, dann sind die Chancen in der Ganztagsschule ganz gut. Da sei man für die Nachmittagsaufbewahrung immer auf der Suche nach Honorarkräften. Sei ja auch ‘ne wichtige Aufgabe. Könnte sie sich ja nochmal überlegen.
 
Hä? Wie jetzt, Quereinstieg??

Ach so, stimmt ja, Sie sind ausgebildet. Entschuldigung, die meisten, die hier herkommen, sind artfremd. Dennoch müsste sie sich schon zertifizieren lassen, wenn das als Tagesmutter was werden soll.

Irritiert verlässt sie das Amt. Fragen über Fragen. Komisch, als Politikerin kann man von heute auf morgen vom Arbeits- ins Familien- und von da ins Verteidigungsministerium wechseln und das obwohl man Ärztin ist und höchstwahrscheinlich ohne Zertifikat. Sie würde einfach nur gern in einem Beruf arbeiten, den sie schon erlernt hat. Nix Quereinstieg, nix Honorar, nix artfremd. Keine OP am offenen Herzen! Einfach pädagogisch wertvolle Kinderbetreuung, die angeblich doch dringend gebraucht wird UND sie wäre so flexibel Finanzeinbußen in Kauf zu nehmen. Aber: Die, die Flexibilität wollen, erkennen sie nicht.

Blind. Taub. Schwerfälliges Behördenmonster. Pädagogisch wertvoll.

Ich persönlich mache drei Kreuze, dass mein Arbeitsplatz auf mich wartet. Muss er auch noch, denn meine o.g. potentielle Betreuungsperson hat sich umorientiert und tagesmuttertechnisch aufgegeben.