Sonntag, 29. Juli 2018

Bei Kräutertee und Duftstab


Wie dem ein oder der anderen schon aufgefallen sein mag, arbeite ich im sozialen Bereich. Neulich - auf dem Weg von einem Hausbesuch zurück ins Büro - gingen vor mir zwei ca. 20jährige und unterhielten sich darüber, was sie denn mal werden wollen. Das Mädchen fragte den Jungen, warum er denn nicht Sozialpädagogik studieren will. Sie würde ihm dies wärmstens empfehlen. Als Mann hätte er von vorneherein bessere Karten, weil es so wenige Männer in diesem Bereich gäbe und klar, man verdiene nicht so viel, aber man bekäme sooooo viel von den Leuten zurück. Ich war kurz in Versuchung hier einzuschreiten, denn gerade nach DIESEM Hausbesuch hatte ich nicht das Gefühl, soviel zurückzubekommen. Das einzige Feedback, das mir in Aussicht gestellt worden war, war eine Ohrfeige.

Oft hatte ich schon das Vergnügen irgendeinen Keim aus dem Krankenhaus mit nach Hause zu tragen, irgendein Virus oder einfach nur Angst, dass ich irgendetwas mittrage, wenn ich mal wieder knietief in irgendeinem Messiedreck stehe.
Das erzählt einem im Studium kein Mensch. Es ist eher eine Randnotiz, dass die Hilfe, die man bietet, nicht immer erwünscht ist, was die Arbeit mit den Betroffenen natürlich schwieriger mache.
Manchmal unmöglich. Wie bei der Familie, bei der ich zuvor war.
Wir hatten eine Meldung von einem Pflegedienst bekommen, mal nach dem Rechten zu sehen. Es sei Eile geboten, weil der Verdacht auf häusliche Gewalt bestünde. Die Ehefrau habe Angst vor ihrem Mann. Das Pflegepersonal habe die Ehefrau bereits wiederholt im Treppenhaus angetroffen. Diese habe jeweils angegeben aus Furcht vor ihrem Mann aus der Wohnung geflohen zu sein. Der Betroffene wisse von dieser Meldung nichts. Er sei dement. Es bestünden Vollmachten, sowohl die Ehefrau als auch die Kinder seien bevollmächtigt.
Noch ehe die Meldung bei uns eingegangen war bzw. parallel dazu, meldeten sich die Kinder schriftlich und teilten mit, dass eine Intervention meinerseits überhaupt nicht nötig sei. Man habe den Vater nach wie vor nicht darüber informiert, was hier laufe, da er sich hierüber sehr aufregen würde. Weiterhin wurde mitgeteilt, dass es zu keinem Zeitpunkt zu häuslicher Gewalt zwischen dem Vater und seiner Ehefrau gekommen sei. Man wolle doch festgestellt wissen, dass die meldende Pflegestelle auf Nachfrage keinen bestimmten Vorfall habe benennen können. Ebenso wolle die Ehefrau weiter mit dem Betroffenen zusammenleben und auch er wolle dies und lehne den Umzug in ein Pflegeheim entschieden ab. Zugegebenermaßen sei die häusliche Situation anstrengend und angespannt. Es sei ebenso richtig, dass der Vater zur verbalen Aggressivität neige und in solchen Momenten sei es bereits dazu gekommen, dass die Ehefrau des Vaters die Wohnung verlassen habe, bis sich die Situation etwas entspannt habe. Die Pflege des Vaters erfolge nahezu ausschließlich durch die Ehefrau. Zweimal die Woche würden ihm externe Kräfte Gesellschaft leisten - auch zur Entlastung der Ehefrau.
Die Hoffnung, dass ich der Meldung des Pflegedienstes nicht nachgehe, erfüllte sich zum Entsetzen der Kinder nicht. Es ist (mir) egal, ob jemand schöne Briefe schreibt, ob Tochter und Sohn gute Berufe haben. Das hat für meinen Job erst einmal keine Bedeutung. Mir wurde schon oft erzählt, ich könne mir diesen und jenen Besuch bei Frau oder Herrn XY sparen, da kaum ansprechbar und blind und taub und dann steh ich in der Tür und Frau XY ist weder blind noch taub und durchaus ansprechbar.
Ob man dem Vater denn beim Hausbesuch unbedingt die Gründe meines Erscheinens nennen müsse? Auf jeden Fall wolle eines der Kinder dabei sein.

Der Betroffene - am Tisch sitzend und Zeitung lesend - begrüßte mich zunächst freundlich. Mit dem Sohn war abgesprochen, zuerst ein Gespräch mit dem Betroffenen über die Betreuung und Versorgung im Allgemeinen zu führen, auch um ein Bild über seine gesundheitliche Verfassung, insbesondere über seine Orientierung zu erhalten. Anschließend sollte ich die Möglichkeit erhalten mit der Ehefrau allein zu sprechen.
Vordergründig wirkte der Herr freundlich und orientiert. Schnell wurden einerseits allerdings Gedächtniseinschränkungen deutlich und andererseits schien sein Misstrauen mir gegenüber zu wachsen, was wiederum zu wahrnehmbarer Gereiztheit führt. Er fragt mehrmals, wo ich denn herkomme und wer dafür gesorgt habe. Um ihm nicht zusätzlich das Gefühl einer Kontrolle durch mich zu vermitteln, führe ich das Gespräch ohne mir - wie sonst üblich - Notizen zu machen. Der Besuchte wiederholte mehrfach, dass ja nicht jeder so alt werden würde, wie er es bereits ist. Dass er am 17.05. Geburtstag hat, das erinnert der Betroffene. Fragen bezüglich des Pflegedienstes konnte er nicht ohne Hilfe beantworten.
Wie durch die ebenfalls anwesende Ehefrau und den Sohn erfahren wurde, ist der Pflegedienst nach wie vor tätig, doch gäbe es mittlerweile lediglich einen Einsatz in der Woche. Dies habe den Vorteil, dass der Betroffene sich nicht täglich gestört fühle.

Ich saß mit dieser Familie am Küchentisch und in mir sträubte sich alles Teil dieses Schmierentheaters zu sein. Alles ein Eiertanz, nur damit der Herr nicht gestört wird, ausflippt. Ein Herr, der weder körperlich noch kognitiv dazu in der Lage wäre, irgendeinen von uns ernsthaft zu schädigen.

Er bestätigt in dem Gespräch, dass für ihn alles so bleiben solle, wie es ist. Auf die Vollmachten angesprochen, bin ich nicht sicher, ob er sich deren Existenz bewusst ist, doch gab er an, er fühle sich zu Hause wohl und gut durch seine Frau versorgt. Spannungen zwischen ihnen werden durchaus deutlich. Es kommen ebenso Hinweise darauf, dass er wenig kooperativ ist - bezüglich des Duschens z.B.

Dass die häusliche Situation schwierig ist, ist meinem Eindruck nach durchaus vorstellbar. Er scheint empfindlich leicht erregbar. Es erfolgen jeweils Beschwichtigungsversuche durch den anwesenden Sohn, die während meiner Anwesenheit den (von der Familie) gewünschten Erfolg bringen.
Der Herr wolle weiterhin, dass sich ausschließlich seine Familie um seine Angelegenheiten kümmere. Die anwesenden Personen nickten das ab. Ich sollte verschwinden. Okay, kein Gespräch ohne Gesprächsbereitschaft.

Nach meiner Verabschiedung gab die Ehefrau dann vor, in den Keller zu gehen und begleitete mich in den Hausflur.
Im Gespräch wurde mehr als deutlich, dass diese emotional hoch belastet ist. Sie berichtete, dass es immer wieder zu Schwierigkeiten komme. Auf der einen Seite stünden die Kinder des Betroffenen, die gewisse Erwartungen an sie hätten was die Rund-um-die-Uhr-Betreuung des Vaters angehe, auf der anderen Seite stünden ihre eigenen Kinder, die sich um sie sorgen würden. Sie befinde sich immer wieder in der Vermittlerrolle. Ihr Ehemann werde schnell aufbrausend und verbal aggressiv - nicht nur ihr gegenüber. So sei es auch im Freundes- und Bekanntenkreis bereits vorgekommen, dass sie habe vermitteln müssen, damit die Situation nicht eskaliere. Auch würde er seine Kinder regelmäßig beschimpfen. Dabei gehe es extrem unter die Gürtellinie.
Geschlagen habe er sie nicht, doch sei es bereits vorgekommen, dass er ihr etwas hinterhergeworfen habe. Anschließend täte es ihm leid. Die Kinder würden dieses Verhalten stets mit der Demenz in Verbindung bringen. Das könne durchaus sein, doch sei ihr Mann bereits früher schon ein schwieriger Charakter gewesen. Alles ließe sich mit der Diagnose nicht entschuldigen. Sie wisse, dass es so nicht weitergehen könne, doch habe sie sich bisher nicht dazu entschließen können, eine Veränderung herbei zu führen.

Ohne die Pflege seiner Frau wäre der Betroffene nicht in der Lage allein in einer Wohnung zu leben. Er verlasse das Haus eigentlich nicht mehr, weil er Gehwagen oder Stock nicht benutzen wolle. Die Frau versuche sich, um Kraft zu tanken, Freiräume zu schaffen, in dem sie Kontakte innerhalb der Kirchengemeinde pflege, aber auch zum Yoga und zum Chor gehe, sich mit Freunden und Bekannten treffe. Auch diese hätten sie bereits darauf aufmerksam gemacht, dass es so nicht weitergehe könne. Sie habe sich über verschiedene Möglichkeiten Gedanken gemacht, bisher allerdings keine Lösung für sich gefunden. Auch sie halte meine Hilfe nicht für das geeignete Mittel die Probleme zu lösen. Vielmehr sei es an ihr selbst eine Entscheidung zu treffen, wie lange dieses System für sie noch tragbar bzw. zu ertragen ist. Ich habe sie eindringlich gebeten sich professionelle - außenstehende - Hilfe zu suchen. Sie habe dies schon für sich überlegt und auch sämtliche Informationsmaterialien hierzu, habe aber bisher niemandem zur Last fallen wollen. Sie wurde darauf hingewiesen, dass dies nicht der Fall ist, wenn sie eine Beratungsstelle aufsucht, da Beratungsstellen den konkreten Auftrag der Unterstützung haben. Wir sind so verblieben, dass ich mich noch einmal schriftlich an sie wende (der Mann leert den Postkasten nicht) und konkrete Anlaufstellen benenne, die sie kontaktieren möge. Bis sie sich entschieden habe, wolle sie für ihren Mann sorgen.

Und, was bleibt? Dankbarkeit nicht. Eher Frust, dass jemand Macht hat, weil alle mitMACHEN. Und mir kein Mittel zur Verfügung steht, etwas ändern zu können, was ich als extrem ungerecht und ungesund ansehe. Und da ist es wieder, das Aushalten-können, nicht den eigenen Maßstab an das Leben anderer zu legen. Leben und leben lassen. Auch, wenn es direkt ins Verderben führt.
Es bleibt die Wut über Herrn Dr., den Sohn, und Frau Von und Zu, der Tochter, die ihre Stiefmutter über die Klinge springen lassen und zur Gewissensberuhigung einmal die Woche ihre osteuropäische Putzfrau zu Papi schicken und das als Entlastung für die Stiefmutter verkaufen. Während man sich auf der eigenen Terrasse in der Sonne aalt - Neubau in Hamburgs vornehmster Gegend - und Papi gut versorgt weiß, wartet die Stiefmutter immer noch auf das Pflegegeld, das - damit Papi sich nicht aufregt bei der Durchsicht der Kontoauszüge - auf dem Konto des Sohnes geparkt werden sollte. Die Umleitung zur Person, der das zusteht, findet das Geld bisher nicht.

Und die Moral von der Geschicht: Welt retten ist so einfach nicht.
Und, noch während ich im Büro saß und darüber nachdachte, ob es nicht doch ein Schlupfloch gibt. eine Lösung, klingelte das Telefon und es meldete sich ein Mensch, den ich vor zwei Wochen getroffen hatte. Er wolle sagen, dass die Mutter, um die es sich gehandelt hatte, gestern Nacht verstorben sei, doch wolle er sich noch einmal bedanken, für alles, was ich für ihn und die Familie getan hätte. Sowohl er als auch sein Bruder hätten sich sehr gut aufgehoben gefühlt.

DANKE!