Mittwoch, 13. Juli 2011

Trottel wie wir

Nach dem Ausflug in die Stadt war meine Abenteuerlust erst einmal bei Null angelangt. Wieso in die Ferne schweifen? Jetzt, wo ich nach all den ruhelosen Jahren in der Familie endlich eine Art Heimat gefunden habe?
Dennoch ist ja wohl klar, dass in Mecklenburg nur Rentner, Alkoholiker und Leute leben, die keine Ziele haben. Die, die hier weggehen, wissen das schließlich ganz genau! Sie verstehen das Leben. Sie haben alles im Griff. Und natürlich ist es cooler irgendwo anders arbeitslos zu sein, als hier asozial und dorfig zu werden, zu heiraten, arbeiten zu gehen und Kinder zu kriegen, normal zu sein, sich sicher zu fühlen.
„Dass du da nicht verrückt wirst!“ „Wird Zeit, dass du da raus kommst!“ Ich konnte mich vor guten Ratschlägen kaum retten, besonders von meiner Schwester, die mir ihr Leben in der Großstadt als einzig erstrebenswert anpries und selbst allerdings nicht mehr als die Strecke zur Arbeit mit der Bahn unternahm und kaum Freunde dort hatte, geschweige denn Kontakt zur Familie oder sonst wem. Vielleicht ist sie deshalb auch durchgedreht.
Ich konnte das Gejammer auf dem Dorf allerdings auch nicht ertragen, wie Scheiße der Staat sei und die Regierung an allem Schuld. Sind wir verwöhnt? Erwartet man hier zu viel? Denn ist nicht jeder selbst für sein Leben verantwortlich? Früher war nicht alles besser. Es war anders. Und leicht war das Leben bestimmt nie. Ich wollte trotzdem bleiben und gucken was geht, war voller Tatendrang und kaum zu bremsen. So vereinbarte ich freiwillig einen Termin beim Arbeitsamt, um die Möglichkeiten zu erörtern. Ich bereute sogleich. Eine Begrüßung gab es nicht. „Beziehen Sie Leistungen? Sonst sind Sie falsch bei mir!“ Mir war nicht mal erlaubt, ein Praktikum anzutreten. „So was gibt es hier nicht!“ Man könne das privat schon machen, aber ich bräuchte mir nicht einbilden, dass ich dann unfallversichert wäre. Sie erfragte meinen Lebenslauf und welche Arbeit ich anstreben würde. Ich erzählte von meinen drei abgeschlossenen Ausbildungen, wobei sie mich darauf aufmerksam machte, sie könne nur einen Vermittlungsberuf eintragen, und mein Lebenslauf sei zu lang für ihr Computerprogramm. „Beileibe, und das mit dem Büro ist ja schon ein paar Jährchen her!“ Warum ich danach ausgerechnet Erzieherin geworden sei…? „Ihr Beruf stirbt sowieso aus!“ Dabei war ich mir sicher, erst kürzlich etwas über mangelnde Flexibilität bei Arbeitnehmern gelesen zu haben. Doch schien mir das Amt gar nicht auf flexible Leute vorbereitet zu sein, allein, wenn ich bedenke, dass die Bearbeitungszeit für ALLES mindestens sechs Wochen beträgt und man aber andererseits nicht drum rumkommt, weil ALLES schriftlich erbettelt werden muss, wie sie mich noch belehrte. Sie gab mir acht Stellenangebote mit, darunter eine Praktikantenstelle, die das abgeschlossene Vordiplom im Tourismusbereich voraussetzte. Nun gut, ich konnte einiges vorweisen, aber dies nicht. Als ich dies zu bedenken gab, fühlte sie sich berufen, mir noch einmal mitzuteilen, dass „Wir fordern und fördern KÖNNEN!“ Sie sprach über Sanktionen, schließlich müssten die meisten Jugendlichen (danke, dass ich noch dazu gezählt wurde) zu ihrem Glück gezwungen werden, über Eingliederungsvereinbarungen und machte mich nebenbei immer wieder durch ein paar Spitzen nieder, bis mir schließlich der Kragen platzte. Daraufhin erzählte sie mir, dass sie selbst fünfzehn Jahre Erzieherin gewesen sei, und sie bei mir wohl nichts zu befürchten hätte, da ich wohl sehr bemüht wäre. Außerdem würde ihr Sohn am Wochenende heiraten und sie hätte ein vierjähriges Pflegekind und wünsche mir auf jeden Fall viel Erfolg. Und den Job im Amt würde sie ohnehin nur machen, weil sie hier untergebracht worden sei. Die Stadt braucht sie nicht mehr als Erzieherin, muss sie aber vertraglich weiter beschäftigen. Und nun sei sie dort und könne mir nur ans Herz legen, doch auch in den Westen zu gehen, so wie alle klugen Leute…