Samstag, 4. Dezember 2021

Schule

 

Es gibt so Tage, an denen ich mich frage, wieso ich Mutter werden konnte. Fakt ist, ich hatte Sex, der offenkundig zur Fortpflanzung beiträgt. Vielleicht ist die Frage eher, wieso ich Sex hatte, ohne die Fortpflanzung zu verhindern.

Je länger ich Mutter bin, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass es nicht meine beste Idee war und das liegt ganz und gar nicht am Kind, denn das ist das Supermegatollsteklügsteallerbestewahnsinnskind aller Zeiten. Es liegt eher daran, dass ich das Gefühl habe, dass es kein Platz für Supermegatollsteklügsteallerbestewahnsinnskinder hier in unserem Kaff, vielleicht auch auf der Welt, gibt. Eigentlich gibt es überhaupt keinen Platz für irgendein Kind. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich glaub, ich war auch so ein Kind. Und alles läuft so einigermaßen okay bis – ich sag’s jetzt, das schlimme Wort – SCHULE in unser Leben tritt.

Ich habe in meinem Leben sehr viel unternommen, um Schule aus dem Weg zu gehen. Und das ist völlig irre, denn insgesamt habe ich offiziell ca. 16 Jahre an Schulen verbracht. Und dann hab ich noch studiert. Schule und ich… wir haben uns meist nur aus der Ferne verstanden. Ich fing schon in der ersten Klasse an regelmäßig krank zu werden, hatte aber total Bock Schule zu spielen und machte die Hausaufgaben für die Nachbar-Viertklässlerin, die dafür das erste Mal in ihrem Leben eine Eins bekam. Fernlernen, also möglichst weit weg von meiner eigentlichen Schule, war top. In der Schule war das Erklärte so bliblablub und verschwamm zu einem elendig ausschweifenden Erklärungsklumpatsch, bei dem sich mein Gehirn ausschaltete. Das ist genauso unmöglich da zuzuhören, wie mit dem Auto 10 km/h zu fahren. Das ist weder Stehen noch Fortbewegung. Zuhause las ich das einmal und es ging ein Licht auf. Da meldete sich nicht auch noch der Fünfte und stellte dieselbe dämliche Frage, die schon achtmal beantwortet wurde. Zuhause wurde ich nicht gemobbt. War nicht die Neue, obwohl ich schon 3 Jahre im Dorf wohnte. Zuhause konnte ich so laut Nase putzen wie ich wollte und meine Klamotten haben auch niemanden gestört. Ich musste nicht asthmatisch den Sportplatz umrunden und war auch nicht die, die zuletzt in die Mannschaft gewählt wurde. Und ich hatte genug Zeit mich mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zu beschäftigen. Essen, schlafen, lesen, mir mit der Stopfnadel die Ohren durchbohren, schreiben, Farin Urlaub.

In der Pubertät perfektionierte ich das alles daher noch. Es kamen neue Vorgaben und nun durfte man nur noch eine bestimmte Anzahl an Tagen fehlen, die ich natürlich im Blick behalten musste, wenn ich mir mit Lippenkonturenstift die Augen so umrandete, dass ich sehr krank nach Hause geschickt wurde. Die Institution Schule hat mir nichts gegeben und fand auch nichts auffällig. Doch ich selber hatte das Gefühl, dass ganz eindeutig etwas mit mir nicht stimmte. Das war sehr auffällig. Ich fühlte mich permanent, als müsste ein runder Pflock in die eckige Öffnung gekloppt werden und da passte ich ganz eindeutig nicht rein.

Richtig schwierig wurde es dann, als man in der Berufsschule offizielle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom Arzt brauchte. Ich möchte an dieser Stelle davon abraten eine gewisse Ärztin in Schwerin zu konsultieren, bei der angeblich die AU-Bescheinigungen schon im Wartezimmer ausliegen, und ihr zu erzählen, man hätte Magen-Darm-Grippe. Was man auf jeden Fall hat, ist ganz schnell einen Finger im Po, und die Ansage, dass sie das nicht glaubt.

Als ich irgendwann erleichtert allen Schulen den Rücken kehrte, war ich froh und ganz sicher nie mehr mit diesem Thema in Berührung zu kommen. Ich Vollidiot.

Als Elternteil zurück an die Schule zu kommen, ist noch beschissener als selber Schüler zu sein. Man ist mit der Scheißigkeit des Systems konfrontiert und es weckt dazu noch Erinnerungen, auf die man verzichten kann. Wäre es nicht so abartig, wäre ich fasziniert davon, wie Schule es schafft, mir permanent das Gefühl des Totalversagens zu vermitteln. Früher als Mensch und heute als Mutter.  Denn ganz eindeutig stimmt mit mir schon wieder was nicht. Und der Apfel und so… Ja, der kommt ganz eindeutig von meinem Stamm und ist sehr nah gefallen. Ist schon unnormal, wie ein Kind in diesem Alter an seiner Mutter hängt. Nahezu ekelhaft. Er hat ja auch diese feinen Gesichtszüge und trägt er sein Haar freiwillig so? Das ist ja schon außergewöhnlich. Und dann ist er viel zu langsam und kann sich überhaupt nicht konzentrieren, vergisst alles. Versuchen Sie es doch nochmal mit dem Methylphenidat. Und das mit dem Schulsport klappt gar nicht. Ich kann da auch nicht glauben, dass er zu Hause Sport mag. Seine motorischen Fähigkeiten sind unterirdisch. Sie müssen die Stifthaltung IMMER korrigieren, egal was er macht, selbst beim Malen oder Zeichnen. Und die Besteckhaltung geht gar nicht. Das sieht unmöglich aus. Und sensibel ist er auch. Ganz schön sogar. Spielt im Hort auch viel mit sich selbst. Scheint gar keinen Anschluss an andere Kinder zu suchen. Ja, inhaltlich, also mit dem Stoff gibt’s keine Probleme. Im letzten Mathetest volle Punktzahl. Ja, erfunden hat er neulich auch was. Aber sollte er nicht nochmal zur Ergotherapie? Er ist auf der Rückfahrt vom Ausflug im Bus eingeschlafen. Können Sie ihn heute bitte früher abholen? Er träumt zu viel und ist in seiner eigenen Welt. Und wissen Sie, wir sind nicht mehr im Kindergarten. Das mit dieser Riesenuhr am Arm heute Morgen, also, das geht nun wirklich nicht. Ja, die zwei Monate Fehlzeit, ja, die hat er aufgeholt. Aber, sagen Sie ihm doch bitte auch noch mal, dass bei uns an der Schule strengstes und absolutes Schneeballwurfverbot herrscht.

Nun kloppen sie diesen eckigen Pflock doch mal ordentlich in die runde Öffnung.