Mittwoch, 7. Oktober 2015

Angst und Schrecken


Es flutscht irgendwie nicht. In Anbetracht der weltpolitischen Lage mag es mir einfach nicht gelingen, mich über Banalitäten zu beklagen. Ich fühle mich nicht legitimiert, etwas Schnödes zu verbreiten.

Vor ein paar Wochen dachte ich noch, ich hätte Probleme: Alle technischen Geräte kaputt, Ebbe auf dem Konto und Orientierungslosigkeit im alltäglichen Leben. Und dann fingen Leute an, sich über tote Kinder im Mittelmeer zu freuen. Ich habe im Videotext nur von dem Bild des kleinen Jungen gelesen und brach schon fast in Tränen aus. In den Abendnachrichten habe ich es dann gesehen und auch, wie Polizisten in Ungarn auf eine hochschwangere Frau einprügelten. Da war es aus.

Solche Bilder zeigen ganz deutlich das Versagen der Menschheit, also auch mein Versagen. Ich habe mich noch nie so wenig von Nutzen gefühlt, noch nie so wenig hilfreich. Früher wollte ich immer unbedingt für die UN arbeiten. Für das Kinderhilfswerk oder die Flüchtlingshilfe. Im Moment habe ich nicht das Gefühl, dass irgendwer da was tut, das sinnvoll ist. Machen die was, außer auf sich aufmerksam? Was bringt es denn, wenn Hollywoodmiezen armen Flüchtlingskindern mal über den Kopf tätscheln? Weltfrieden? Und, wo ist die EU? Irgendwie fühlt sich da keiner mehr zugehörig, wenn er nicht kriegt, was er will. Und keiner will Flüchtlinge.

Mein Problem ist es, dass ich immer die Probleme der ganzen Welt lösen will. Sofort. Allein. Dabei komme ich nicht mal gegen die vor Ort an.

Meine Freundesliste schrumpft stetig. Das macht mich traurig. Nicht, weil ich viele Facebook-Freunde brauche - wer nie beliebt war, muss sich zum Glück nicht bemühen, beliebt zu bleiben - sondern die Ursache des Schwundes betrübt mich.

In einem Dorf, in dem ich früher auch mal wohnen musste, sollen Flüchtlinge in der Mehrzweckhalle einquartiert werden. Das Dorf steht Kopf. Ein Dorf, in dem ich noch die Neue war, als ich nach 5 Jahren wieder wegzog, und in dem es noch kein Mensch mit Migrationshintergrund dauerhaft schaffte, sich niederzulassen.

Es war mir nie peinlich aus dem Osten zu kommen. Ich hatte immer Heimweh nach Mecklenburg.

Im Moment schäme ich mich und Mecklenburg hat es mir noch nie so einfach gemacht, es nicht zu vermissen. Menschenfeinde gibt es auch in Hamburg. Als ich in die Wohnung einzog, musste ich Propaganda-Aufkleber in der Kammer abkratzen, aber gefühlt bilden sie hier keine Wand, gegen die man nicht ankommen kann. Eine Wand von Dummheit. Da beklagen sich Leute nach der Einwohnerversammlung in dem Dorf auf Facebook darüber, dass sie kein "Özdemir" als Bundeskanzler haben wollen. "Deutschland wird sich währen." Und es wird schon mal angekündigt, dass er/sie weiß, wo bei der nächsten Präsidentenwahl das Kreuz gemacht wird.

Ich meine, wo soll man denn da anfangen? Über jeden Herrn Özdemir könnte sich dieses Dorf freuen. Vielleicht bietet Herr Özdemir den Kommentatoren auch ein wenig Nachhilfe in Deutsch und Politik an, für Leute, die sich "währen" wollen und glauben, dass wir hier einen Präsidenten direkt wählen, für alle Herren und Frauen KOTZlowski oder wie solche Menschen so heißen, die vom Familiennamen ausgehend schon mindestens Urgermanen sind.

Ich persönlich habe ausschließlich Angst vor Dummheit. Vor Menschen, die aus Dummheit Kriege führen und dafür sorgen, dass Millionen Zuflucht suchen - ja, in Kauf nehmen, ihre Kinder auf dieser Flucht sterben zu sehen oder selbst zu sterben - und vor den dummen Menschen unter uns, die Propaganda-Internetseiten betreiben, vor Teilern, vor Brandstiftern, vor Steinewerfern, vor Leuten, die in Berliner S-Bahnen Kinder mit Migrationshintergrund bepinkeln und vor allem vor Leuten, die dabei zugucken und denen, die (innerlich) applaudieren. Vor denen, die lange bevor ein Flüchtling von weitem zu sehen ist, all das machen, was sie diesem an kriminellen Handlungen unterstellen. Vor Menschen, die für Angst und Schrecken sorgen.

Und, dann gibt es noch die, die auf den ersten Blick und auch auf den zweiten nicht dumm sind, aber trotzdem unglaublich dumme Sachen sagen, aber argumentieren und den Anschein von Seriosität und Wissenschaftlichkeit erwecken. Durchaus logisch. Parteien, Gewerkschaften, Rechtsstaatsinstrumente, die die Gunst der Stunde nutzen, um Menschenfeindlichkeit im Rahmen der Meinungsfreiheit zu etablieren und gesellschaftsfähig zu machen. Gefährlich und mit nicht weniger Angst und Schrecken.

Ich bin nicht blind und taub. Mir ist durchaus klar, dass mit der Einreise von hunderttausenden Flüchtlingen das Problem nicht behoben ist. In Deutschland fangen sie dann erst an, die Probleme. Aber es kann keine Lösung sein, sich abzuschotten, unmenschlich zu sein, Aufnahme und Hilfe zu verweigern. Ich glaube sogar, viele Chancen werden vertan, um Flüchtlinge besser ankommen zu lassen und zu integrieren, weil die Regierung und ihre Behörden schwerfällig, langsam sind.

Ich weigere mich einfach zu glauben, dass die Mehrheit der Menschen in diesem Land in Angst und Schrecken leben will. Die Frage ist, in was für einer Welt - oder zumindest in was für einem Land - jeder einzelne von uns leben möchte. Ich gehe davon aus, in einem Land ohne Angst und Schrecken. Dann ist die Antwort ganz einfach: Uns gegen die Menschen zu stellen, die genau das verbreiten.