Samstag, 11. April 2020

Lagerkoller


Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ab und zu habe ich den Eindruck, dass ich die einzige Bewohnerin dieses Planeten bin. Vielleicht ist das Teil meiner Störung. Vielleicht bin ich irre. Wie lange dauert es denn vom Lagerkoller zum chronifizierten Wahnsinn? Ich bin nämlich tatsächlich irritiert, ob einiger Darstellungen, die mich so erreichen. Ich bin z.B. gerade aus einer Gesichtsbuch-Gruppe für Alleinerziehende ausgetreten, weil ich nicht noch den 150. nicht umsetzbaren Tipp von Müttern zum Homeoffice haben wollte, die selbst Pubertierende zu Hause haben und nicht begreifen, dass für einen Fünfjährigen nicht die gleichen Maßstäbe angesetzt werden können. Zum Glück bin ich auch nicht (mehr) bei Instagram, dann müsste ich ständig über Menschen sehen und lesen, die raten, dass man diese Zeit doch einfach als wunderschöne Familienzeit genießen soll und den Kindern nun endlich das Teppichknüpfen beibringen kann. Und ich weiß nicht, ob Sie’s schon wussten, aber spüren Sie nicht auch diese warme Welle der Solidarität, die durch das Land schwappt? Fühlen Sie sich nicht auch entschleunigt? Tut uns allen das hier nicht auch so richtig gut?

Und ich so… Nee.

Homeoffice: Seit vier Wochen bekommen wir jede Woche Freitag eine E-Mail, wie toll es doch läuft und vorgestern kam dann wieder eine und ich war kurz davor mich auf meine Tastatur zu übergeben, obwohl ja erst Donnerstag war. Ich zitiere: „Mein Dank gilt Ihnen allen weiterhin für Ihr andauerndes und ausdauerndes Verständnis und den Willen, gemeinsam diese Zeit zu bewältigen! Insbesondere will ich hier hervorheben, dass die Flexibilität und der Einsatz aller Kolleginnen und Kollegen in allen Bereichen ein gutes Zeichen ist und mich sehr stolz macht.“ Herzlichen Glückwunsch.
Wo soll ich da anfangen?? Ich arbeite im Moment, weil ich dazu gezwungen bin. Es sind alle ins Homeoffice geschickt worden, in einem Job, der überhaupt nicht im Homeoffice zu machen ist. Und bei dem Versuch das doch irgendwie zu schaffen, bin ich gedanklich den ganzen Tag dabei zu arbeiten und Lücken zu suchen, in denen ich gerade nicht das Kind betreuen muss. Die einzigen Lücken, die ich ausfindig machen konnte, sind Nachtschlaf und Filme gucken. Und Filme gucken wirkt auch nur so lange der Film läuft und nicht zufällig das W-LAN wieder abkackt und das Kind in ein Telefonat platzt mit Jemandem, der Kinder nicht so mag. Es muss auch ein Naturgesetz sein, dass gerade, wenn der Eindruck entstanden ist, das Kind würde sich vertieft einer Beschäftigung hingeben, die Mutter dann aber telefoniert, das Kind ein SOFORT zu bearbeitendes Bedürfnis hat.
Den Arbeitsplatz musste ich im Wohnzimmer einrichten. Da spielt das Kind. Und dann habe ich neulich ein stundenlanges Gespräch mit einem Betroffenen übers Handy geführt und meine gesamten Telefonminuten verbraten – am Fenster stehend im Schlafzimmer. Und, da dachte ich, dass ich diesen ganzen Arbeitskram überhaupt nicht in der Wohnung haben will. Es war jedenfalls ein totales Scheißgefühl, als der Typ anfing von einer tabakverseuchten Erwachsenenspielzeugpumpe, die die (fiktiven) Einbrecher hinterlassen hatten, zu erzählen und das Kind im Wohnzimmer Kinderlieder mitsang, die gerade im Film liefen. Ich will auch nicht ständig die Problemberge in Form von Aktenbergen in meinem Wohnzimmer sehen und beim Essen mit dem Kind darüber nachdenken, ob jetzt schon Eigen- oder Fremdgefährdung bei Herrn XY besteht und ich noch mal schnell was in die Wege leiten müsste, weil ich einfach auch nicht will, dass ich vor meinem Spatzi in einem Telefonat Dinge kommunizieren muss, für die ich teilweise selbst Supervision bräuchte. Und der Stapel wird wöchentlich größer, jedenfalls wird mir digital schon angekündigt, dass neue Fälle im Büro warten, die ich aber nur heimlich aus dem Büro holen darf, weil der Chef nicht will, dass man Kinder mitbringt. So sind meine letzten Sonntagsausflüge Ausflüge ins Büro gewesen. In der ersten Woche hatte ich mir noch eingebildet, eine Weile würde ich noch was schaffen können, wenn das Kind abends schläft. Theoretisch ja, aber praktisch schaffe ich gar nichts, weil ich geschafft bin. Ja, es läuft; es läuft auf meinem Rücken und auf dem meines Kindes.

Solidarität: Ich habe mich in der letzten Woche zweimal abgefreundet im Gesichtsbuch. Ja, ich kann das auch. Sonst heißt es immer „Mami, ich bin nicht mehr dein Freund“. Aber diesmal hab ich gesagt „Ich bin nicht mehr deine Freundin“.  Bei Zweien, die mit ihren Neuigkeiten ständig auf meiner Startseite aufploppten, hatte ich nun endgültig die Schnauze voll – von geteilten Verschwörungstherorien zum Virus,  von Jetzt-müssen-wir-auch-noch-den-Ausländern-helfen-wir-haben-selbst-genug-Probleme und An-allem-sind-die-Juden-schuld… Wenn ich auf eins Bock hab bei all dem Scheiß, dann darauf, dass noch mehr Scheiß verbreitet wird, schneller als Carola Corona laufen kann.
Bei ‚laufen kann‘ fällt mir ein, dass unser Hausmeister vor einigen Wochen in den Hausflur einen Zettel geklebt hat, in dem Nachbarn aufgefordert werden, sich einzutragen, wenn sie für andere Nachbarn in der Krise hilfreich sein wollen und können, z.B. Einkäufe für Menschen erledigen, die selbst besser nicht einkaufen gehen sollten. Der Zettel war bis gestern leer. Bei uns kauft man auch nicht für Oma Müller oder Muddi Meyer ein, bei uns finden innerhalb von einer Woche vier Polizeieinsätze im Haus statt, wobei jeder mit einem größeren Polizeiaufgebot stattfindet. Alle drehen durch. Und gern auch die Musik auf. Leider ist es ein Naturgesetz, dass Nachbarn grundsätzlich einen schlechten Musikgeschmack haben. Und ein Fakt, dass wir in einem Haus wohnen, in dem man den Nachbarn akustisch völlig ausgeliefert ist.
Und manchmal find ich es fast schade, dass man sich mit Familienmitgliedern nicht abfreunden kann – zumindest wenn die einem am Telefon erzählen, dass sie gerade am Feldrand joggen waren, es so herrliches Wetter ist und sie sich gleich auf die Terrasse setzen, grillen und abends ein Feuerchen machen UND sie dann den Monolog damit beenden… „Insofern ist mir ziemlich egal, was in der Stadt so los ist. Davon kriegen wir hier ja nichts mit!“

Familienzeit: Das ist die Zeit, die vom Tag übrigbleibt, nachdem ich Homeoffice und Solidarität subtrahiert hab. Und da gehen wir dann einkaufen oder machen andere Nützlichkeitsdinge, die nicht aufzuschieben sind. Und das ist dann der Punkt am Tag (zum Glück nicht jeden Tag), an dem Mami nicht mehr der Freund ist. Denn Mami kann ganz schlecht damit umgehen, wenn das Kind auf Ampelschalter drückt oder die Lippen zum Griff des Einkaufswagens führt, sich anschließend die Finger ablecken will, den Kopf kratzt oder die Augen scheuert. Da ermahnt Mami dann… ganz viel. Dabei kann das Kind nichts dafür, denn ein Kind kann diese blöden Hygieneregeln in dem Alter überhaupt nicht verstehen oder konsequent umsetzen. Aber ein Kind kann in dem Alter eben auch noch nicht allein zu Hause bleiben. Am Ende des Einkaufs und nach dem Wutausbruch des Kindes trage ich dann selbiges nebst 38,5 Einkaufstaschen nach Hause, damit wir da nicht so schnell wieder hinmüssen. In der restlichen Zeit versuchen wir uns beim Rollerfahren oder Spazierengehen an halbwegs attraktiven Orten in der Stadt im Social Distancing. Wir gärtnern auf dem Balkon, auf den wir zu zweit kaum passen. Wir malen Oma Bilder und schicken sie ihr per Post.  Wir backen ganz viel und denken uns selber Spiele aus. Und dann stellen wir fest, dass wir seit vier Wochen jeden Tag 24 Stunden am Tag zusammen waren und uns der Auslauf voneinander getrennt und der Kindergarten fehlt und dann heult einer sehr laut und die andere ein bisschen innerlich und dann Essen wir Eis, kuscheln und backen noch mehr Kuchen und färben Eier. Und dann ist irgendwann 21:00 Uhr und das Kind schläft (verflucht sei die Sommerzeit). Niemand redet und hüpft oder will Pinguin spielen. Stille. Feierabend. Bettzeit.
Und dann singt in der Wohnung über uns Helene Fischer.

Dienstag, 24. März 2020

Zu zweit allein zu Haus



Ich weiß nicht, wie viele Beiträge ich in den letzten Tagen dazu gelesen oder verlinkt bekommen habe, wie Familien das jetzt alles machen oder was das Coronavirus mit ihnen macht. Das frage ich mich auch, als jemand, der mit dem Kind allein die ganze Familie bildet.

Was macht das mit meinem Kind? Wenn ich es überall hin mitnehmen muss, weil bedauerlicherweise kein Dorf zur Verfügung steht? Wenn ich es – wenn auch so selten wie möglich, weil so viel gekauft wird, wie ich schleppen kann – mit in den Supermarkt nehmen muss, wo ständig Leute mit Masken und Handschuhen an uns vorbeigehen? Wenn Hände waschen jetzt über allem steht und jede zweite Ermahnung diese Handlung betrifft? Wenn Kratzen im Gesicht, nachdem der Einkaufswagen berührt wurde, bei mir schon einen mittleren Panikanfall auslöst? Wenn auf einmal alles verboten ist? Halt Abstand, mach dies nicht, lass das sein, weich der Frau aus, fass das bloß nicht an, bleib hinter der Absperrung!

Kurzfristig führt es jedenfalls zur Verzweiflung und Wut, Tränen und neuen Spielen. Plötzlich war der Flur gestern in Warteabschnitte eingeteilt. („So, ich denk mir jetzt auch Sicherheitsregeln aus!“) Und es führt zu Angst. Ganz konkret wurde befürchtet, dass alle Verbrecher draußen frei herumlaufen, wenn jetzt auch noch die Polizei schließt. Aber hat es auch langfristige Folgen? Angststörung? Handwaschzwang?

Und dann bin ich selbst angespannt. Und drüber. Und krieche auf dem Zahnfleisch. Hab Kopfkino und überleg mir, wie ich eine Minute in Ruhe überlegen kann, wie wir jetzt zur verschissenen Post kommen, ohne den Bus zu benutzen, weil mir das Paket am Samstagmorgen nicht zugestellt werden konnte. Ja, das war völlig unmöglich. Aus welchen Gründen auch immer. Und dann muss ich aufpassen, dass ich das Kind nicht auch noch anschnauze, weil mir gerade zum Schnauzen ist.

Während andere Sprachen lernen oder sich im Home-Office abwechseln, überlege ich mir, ob ich mein Vitamin C in Sekt auflöse, einfach um mal runter zu kommen. Zu zweit hocken wir jetzt seit 9 Tagen mehr oder weniger die gesamte Zeit in dieser Stadtwohnung, die von Tag zu Tag kleiner wird. Frühstück, Mittag, Abendbrot. Spielen, Basteln, Bücher, Kuchen backen, Jeden Tag ein bisschen Auslauf, bei dem man zwar Abstand hält, aber immer das Gefühl hat, dass die Leute einen strafend ansehen, wie man es denn wagen kann, sich ohne festes Ziel draußen fortzubewegen. Dabei ist das Ziel ganz klar: Drinnen nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Und bei den festen Zielen waren wir ja schon. Supermarkt. Hier und da wird das Kind auch vor dem Fernseher geparkt. Einfach weil ich wenigstens ohne Zuschauer auf die Toilette will (natürlich unter möglichst geringer Verwendung von Toilettenpapier).

Nächste Woche muss ich wieder zur Arbeit. Mir ist noch völlig schleierhaft wie das funktionieren soll. Meine Arbeit ist im Home-Office eigentlich nicht durchführbar. Und wenn man sie so ummodelt, dass dies der Fall wäre, so habe ich immer noch meinen persönlichen Assistenten bei mir, der sich nicht davon abbringen lassen wird, mich tatkräftig zu unterstützen. Dabei würde ich gerade nichts lieber tun, als ganz normal zur Arbeit zu gehen. Es hört sich vielleicht echt jämmerlich an, aber in meinem Alleinerziehenden-Leben sind dies die nahezu einzigen visuellen Direktkontakte mit erwachsenen Menschen. Ich hatte seit der Trennung schon einige Momente, in denen ich unter fehlendem Austausch gelitten habe. Aber mehr denn je fehlt mir gerade sowas wie Partnerschaft, eine Familie, geteiltes Leid.