Sonntag, 30. September 2012

Leerkörper

Sehr geehrter Herr Schulz, noch 1998 musste ich mich von Ihnen vor der ganzen Klasse auslachen lassen, als ich meinen überaus wohl formulierten Unfallbericht vorlas, weil Sie behaupteten, das Wort Personenschaden sei nicht existent. Pah! Vor einigen Tagen wurde dieses Wort von unserem Außenminister in der Tagesschau benutzt!!! Augen auf bei der Berufswahl!
Das würde ich im Nachhinein so manchem Leerkörper, oh Entschuldigung, Lehrkörper, nur allzu gerne raten. Ich erinnere mich noch an eine meiner Klassenlehrerinnen, die irgendwann im Unterricht anfing, vor uns Viertklässlern darüber zu schwadronieren, dass sie und ihre Yuppie-Freunde befürchteten, es würde aufgrund einer hohen Unzufriedenheit in Deutschland jederzeit ein Bürgerkrieg ausbrechen können. Sie und auch ein paar Bekannte hätten sich diesbezüglich natürlich schon gerüstet und entsprechende Fluchtmöglichkeiten sowie das Hab und Gut gesichert. Tja, und wir standen da – die Todesangst im Gesicht und völlig aufgelöst nach Hause laufend und unsere Mütter bestürmend. Meine Panik musste ich noch bis ca. 20 Uhr allein in Schach halten – meine Mutter war vollzeitbeschäftigt – und wenig später auch nicht begeistert, als die selbe Lehrerin inbrünstig vor Riesenkraken warnte, die man noch gar nicht erforscht hätte, die aber jederzeit aus dem Meer kommen könnten (und die Weltherrschaft anstreben würden)!
Gerade jetzt, wo ich das so niederschreibe, bin ich ganz begeistert, dass aus mir doch noch was geworden ist – wie auch immer!? Es grenzt eigentlich fast an ein Wunder!  In der Schule habe ich das Wissen dazu allerdings nicht erworben, denn ich erinnere mich auch, dass unsere Heimatkundelehrerin (=Sachkunde in der DDR, bloß völlig unsachlich) davor warnte, unsere Körperhaare zu entfernen. Niemals sollten wir das tun, denn dann würde unsere Haut nicht mehr atmen können und wir quasi ersticken. (Ist mir neulich beim Beine rasieren eingefallen, das ich wie durch ein Wunder überlebte.) Ja, und was mache ich nun mit all dem unnützen Wissen zu Pioniergeburtstagen und anderen sozialistischen Feiertagen? Das war gut, um nicht auf die Pennerbank oder in die Hilfsschule zu kommen (und auf beiden war man schneller als man gucken konnte), aber im Leben hat mir das nichts gebracht. Eigentlich ähnlich wie Pi (3,14 irgendwas). Ich habe lediglich von Zeit zu Zeit das Gefühl, irgendwann ist das Leben wie die dritte Quadratwurzel aus Pi – für mich nicht berechenbar und völlig unverständlich. Ein Orientierungskurs fürs Leben war die Schule jedenfalls nicht. Allein die Begrifflichkeiten führen schon in die Irre. Sportfest – das ist genauso unsinnig wie Frohe Botschaft: Nichts kam mir in meiner späteren gesamtdeutschen Jugend freudloser vor als der aufgezwungene und angstmachende sonntägliche Gottesdienst. Und Sportfest?? Schulsport war nie festlich, besonders nicht, wenn man die Dicke war, die in keine Mannschaft gewählt wurde, weil sie beim Umrunden des Sportplatzes immer asthmatischer Bummelletzter war. Ja, gut, auch beim Bockspringen sprang ich nicht drüber, sondern - wenn überhaupt und es gut lief - dagegen. Tja, und dann bei der Sportlehrerin, die ich hatte: Die ließ einen im Schlübber turnen, wenn man sein Sportzeug vergessen hatte. Wenn Sport da nicht Spaß macht!
Gestern habe ich meinen alten Taschenrechner gefunden. Von oben bis unten bekritzelt. Ich konnte aber noch entziffern: Es gibt einen Ort, wo die Sonne nie lacht, wo der Mensch, den Menschen zum Idioten macht, wo es gibt weder Mut noch Tugend, das ist die Schule, das Grab meiner Jugend. Das hatte Anne Müller mal draufgekritzelt. Soll all das unnütze Wissen da bleiben. Begraben.

Sonntag, 23. September 2012

Casting Blogger

Warum blogge ich eigentlich? Ob ich blogge, mit dem Hintergedanken, entdeckt zu werden und vom Schreiben leben zu können? Solche Fragen stellen nur Anfänger, selbst wenn viele Aufhörer immer noch dieses Fünkchen Hoffnung in sich tragen. Und: Ich habe keine Antwort! Vielleicht blogge ich wirklich, um grundsätzlich eine Möglichkeit zu haben, Beiträge zu veröffentlichen – so ganz frei von der Zensur. Frei von der Zensur bin ich allerdings nur, weil ich kaum Leser habe. Wo keiner guckt und liest, kann sich auch niemand beschweren und zensieren. Das Internet als Medium erkannt und entdeckt zu werden? Für wen? Ich glaube, hier gilt das, was auch außerhalb des Internets gilt: Bekannt werden die, die Multiplikatoren haben – und die werden bei Anmeldung nicht automatisch mitgeliefert. Vielleicht klappt das mit dem Singen besser – als Schreiberling, der kein Interesse daran hat, seine Beiträge, Geschichten und Romane auf einer Bühne zu tanzen oder medienwirksam in ein Mikro zu schreien, kaum. Angeblich erhalten Buchverlage in Deutschland um die 80.000 Manuskripte im Jahr. Wer da glaubt, im Internet sei er besser aufgehoben, um auf sich aufmerksam zu machen, ist schief gewickelt. Vielmehr schwimme ich hier in einem Meer von Bloggern, die die 80.000 weit überschreiten. Hier ist man noch egaler, wenn es das denn gibt. Beliebig. Hier geben auch die ihren Senf dazu, die keinen geraden Satz formulieren können und nicht mal eine grobe Vorstellung vom Wort Manuskript haben – und zwischen all denen muss man erst mal gefunden werden!
Nicht nur ich musste schon feststellen, dass Menschen in Verlagen keine Phantasie haben. Ein Verlag ist letztendlich auch nur ein Gewinnmaximierungsunternehmen, nicht kreativ. Reichen Sie Exposé und Vita ein. Die Vita zählt dann aber nicht, weil diese immer schon aufs Schreiben bezogen sein soll, was mir offiziell ja noch niemand erlaubt hat. Immer soll man schon den ersten Schritt gemacht haben. Und schließlich heißt es dann wieder: Tut uns leid, aber wir verlegen jetzt lieber das Buch von Manuela Hundefänger, die sich dienstags erfolgreich auf Vox räkelt und auch schon gewinnbringend glitzerpinke Klobrillen mit ihrem Konterfei drauf verkauft. Die Aufgabe und das Glück in diesem Leben sind wohl nicht nur, seinen Platz zu finden, sondern auch, diesen einnehmen zu dürfen. Und man muss sich davon losmachen, dass dieser Weg logischen Regeln folgt.
Ja, vielleicht blogge ich auch deshalb. Es ist auf den ersten Blick logisch, dass das Bloggen Türen öffnet, auf den zweiten (realistischen) Blick völlig aussichtslos, aber die Hoffnung stirbt zuletzt und ICH SEHE ES EINFACH NICHT EIN! Selbst, wenn ein Blog nicht die richtige Frequenz sein sollte, ein anderer Kanal steht gerade nicht zur Verfügung - keine Reality-Show für angehende Schriftsteller und Autoren.
Und, was soll’s? Natürlich will ich gern vom Schreiben leben können. Andererseits lebe ich nur noch, weil ich schreibe – lebe ich nicht allein deshalb schon davon?
 

Donnerstag, 20. September 2012

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es

Politik ist nicht unbedingt meins und ich habe auch keine Ahnung. Ich verstehe die Verklüngelungen nicht und erfasse ebenso wenig komplexe politische Zusammenhänge, aber ich verstehe, wenn jemand eingesperrt wird, nur weil er seine Meinung kund getan hat. Und ich weiß, was Unrecht ist - und Dummheit. Und da wird das Private dann sogar politisch. Besonders, wenn man in einem Land geboren wurde, das es inzwischen zwar nicht mehr gibt, aber das auch so zu funktionieren glaubte. Ein Irrglaube. Und heute für die meisten schon so lang her, dass es selbstverständlich ist,  sich auszudrücken - auf welche Art und Weise auch immer. Gern erschöpft sich das auch in unendlichem Gejammer. Aber von welch unschätzbarem Wert das eigentlich ist, vergesse ich im Alltag. Dabei musste ich noch als Grundschülerin in der POS Friedrich Engels Kampfspiele im Wald absolvieren und durch verräucherte Areale robben - nur falls der Ernstfall eintritt und der Imperialist und Aggressor angreift. Wir müssen ja vorbereitet sein und unsere sowjetischen Freunde unterstützen. Und vergiss nicht, dass du die Mainzelmännchen nicht kennst und auch nicht weißt, was eine Barbie ist, denn Westfernsehen hast du noch nie gesehen (falls die Lehrerin mal fragt)! Die meisten unserer Eltern wollten Veränderungen, wollten nicht mehr eingesperrt sein, wollten sagen können, was sie wollen. Was haben wir daraus gemacht? Nichts. Es gibt immer noch viel zu tun, sind es auch andere Themen. Demokratische Möglichkeiten, die man einst so herbeigesehnt hat, werden kaum genutzt, was wiederum die Gefahr birgt, dass sie eines Tages verschwinden. Macht Freiheit lethargisch? Und hält wirklich nur die Diktatur den Freiheitssinn lebendig, wie es Sigmund Graff mal gesagt haben soll?
Und warum nutzen wir unsere Freiheit nicht, um anderen zu helfen, die diese Freiheit nicht haben? Redet eigentlich noch irgendjemand über Pussy Riot? Als das Thema frisch war, bemalte sich doch sogar Madonna mit Parolen zur Freilassung. Und nun? Alles vorbei? Die Revolution hat mal wieder nur für eine Schlagzeile gereicht. Nicht auszudenken, was ich heute wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre. A) Mutter von drei Kindern und Sekretärin in der LPG, B) Lehrerin und Parteimitglied, C) inhaftiert, D) Spitzel?? Von solchen Gedankenexperimenten halte ich eigentlich nichts, denn sie blieben hypothetisch. Theoretisch will jeder auf der richtigen Seite stehen, praktisch kann man trotzdem das Böse unterstützen.

Mittwoch, 5. September 2012

Erleuchtung erwandern

Wandern oder gar Pilgern ist seit einiger Zeit ja mehr als up to date und gilt als Garant der Erleuchtung. Einmal Pilgern bitte und schon weißt du, wo es in deinem Leben lang geht oder gehen sollte. Der Buchmarkt ist von Jakobsweg-Romanen und Ratgebern überschwemmt: The place to be. Also, für mich mehr als ein Wink mit dem Zaunpfahl einen großen Bogen drum zu machen: Zuviel Ablenkung und vermutlich hat sich schon die ein oder andere Fast-Food-Kette an verschiedenen Rastplätzen entlang des Weges niedergelassen. Nein, danke! Die Erleuchtung hätte ich aber trotzdem gerne, obwohl sie längst in mir schlummert und manchmal auch schon herausschaut. Ich wollt sie nun mal richtig befreien. Und wenn das durchs Wandern möglich ist, immer her mit den Abenteuern! Ich ging als Kind schon gern spazieren. Ich gehe ständig zu Fuß, wo andere den Bus nehmen. Ich gehe gern. Einfach laufen und die Gedanken treiben lassen.
Doch, was soll ich sagen? Es war nicht schön. Es war nicht leicht. Es war gar nicht lang genug, aber es war zumindest die Ahnung, wie es sein könnte, sich frei zu laufen, sich so zu schinden, bis alles scheiß egal und der Kopf frei ist. Aber vor allem war es Blasen, geschwollene Hände, wunder Hintern, sich im Wald verlaufen und Angst haben und kein Quartier finden. (Der Norddeutsche ist eben nicht auf Wanderer eingestellt.) Weit und breit nur Waldgeräusche und ich. Sieben Stunden strammen Schrittes. Kaum Pausen, kaum Essen – aber das Ziel vor Augen, das unbedingt erreicht werden muss, EGAL WIE!
Es war auch eine mit Geld nicht zu bezahlende Mitwanderin, ein Aufgeben gilt nicht, ein Ängste überwinden und die Feststellung, dass es funktioniert und mehr geht, als man denkt, wenn man sich selbst den Weg versperrt. Es war die Begegnung mit der Zivilisation, die interessiert und belustigt schaute, wenn wir vom Wald in ihr Dorf kamen.
Und es ist das Gefühl, ohne Rucksack nicht mehr gehen und stehen zu können, weil das Ding dich scheinbar zusammen und aufrecht gehalten hat. Es ist auch Stolz, es geschafft zu haben.
Und schließlich ist es der dringende Wunsch in den Wald zurückzukehren, spätestens wenn du bei deiner Rückkehr im Bus in Hamburg sitzt und von einem Alkoholiker-Teenie fast bekotzt wirst.
Aber die Erleuchtung ist es nicht.