Samstag, 4. August 2012

Der Tag an dem ich Tussi wurde

Ich war noch nie im Leben so mit meinem Aussehen beschäftigt wie an dem Tag. Weil ich mich innerlich so alt fühle, wie ich es vielleicht nie werde? Weil ich gefrustet und verbittert von der Broterwerbstätigkeit bin, die mich ganz grau im Gesicht werden lässt? Und darum sprach mich nichts mehr an, als die Werbung einer Klatsch-und-Tratsch-Zeitung, die es jetzt in einem unschlagbar günstigen Doppelpack zusammen mit einer Modezeitschrift gibt. Die musste, die wollte, die hatte ich unbedingt zu haben! So sehr, dass ich am selben Abend noch rüber zur Tankstelle gelaufen bin und das Päckchen erwarb. Und ehe ich mich versah, ersetzte ich meinen kaputten Staubsauger am nächsten Tag durch einen, der bestimmt auch bald kaputt ist, aber dafür billig, und kaufte mir für das am Staubsauger gesparte Geld ein paar wunderschöne Schuhe. Ticke ich noch ganz richtig? Und ich musterte jede Frau im Bus und auf der Straße. Anschließend musterte ich mich im Spiegel und konnte mich selbst nicht sehen, denn wie sehe und sah ich eigentlich aus? Wie ein Bauerntrampel!
Mal abgesehen davon, dass ich über weniger als gar keine modischen Kenntnisse verfüge, wird die Kleiderwahl zusätzlich durch den Job eingeschränkt, für den ich praxistauglich gekleidet sein muss. Macht die Position, die man bekleidet, auch die Bekleidung? Könnte man da nicht doch noch was machen? Polieren, aufhübschen, umziehen, Haare schneiden, Haare entfernen, straffende Lotion...???
Da kam mir die Rubrik Gestylt wie die Stars oder auch Klau den Look richtig gelegen. Will ich alles. Diät der Stars? Mach ich jetzt auch. Pflegeprodukte der schönsten Frauen der Welt? Brauch ich dringend. Mein Lack ist ab. Ich hab mir ganze Seiten aus dem Heft rausgerissen, voll mit Klamotten, die ich kaufen will, unter anderem ein sehr schöner taillierter Blazer. Bis ich dann feststellte, dass nicht nur der Job den Look bestimmt, sondern auch der Geldbeutel, und ich es mir selbst nicht leisten kann, ein Abklatsch der Stars zu werden. (Hallo?! Aber 200 Tacken für ein Paar Ballerinas?) Na gut, aber ich fand ja dann die oben erwähnten Schuhe und auch einen Second-Hand-Laden, für den ich durch ganz Hamburg fuhr, und ergatterte alles, was ich mir vorgestellt hab, um die Transformation zu vollziehen. Ich wusch das alles noch am selben Abend - Geduld war noch nie meine Stärke - um es am nächsten Tag auszuführen. Tja, das tat ich dann auch, aber was soll ich sagen? An mir passte das alles nicht zusammen. Was bei anderen gut aussieht, wie bei der einen schönen Frau im Bus, die ich jeden Morgen bewundere, an der ich mich gar nicht satt sehen kann (sie trägt übrigens auch einen todschicken taillierten Blazer), die Coolness, Entspanntheit, Kreativität und alles, was ich modisch anstrebe, vereint, und dazu noch ein hübsches Baby hat, tja, das alles ist auf mich leider nicht übertragbar. Ich bin es nicht. Entweder man hat es oder nicht. (Wobei es wohl ausschließlich darum geht, sich gefunden zu haben, um dann das richtige auszuwählen. Und nicht darum, einfach etwas überzustülpen, um jemand zu sein, der man nicht ist.)
Als ich dann auf Arbeit ankam und meine Kollegin sagte, meine Frisur würde gut aussehen, die ich schon bereut hatte, als unten die Haustür hinter mir zuschlug, munterte mich dies auch nicht auf. Da war es schon vorauszusehen. Ich würde nicht synchron mit dem Tag werden. Jedenfalls nicht als das, wozu ich mich erschaffen hatte. Ich bin kein Typ für lange Pflegeprogramme und Ausdauershopping. Wenn ich meine Beine rasiere, sind sie auch nicht glatt, sondern ich hab Juckreiz und das bei Berücksichtigung sämtlicher Tipps für ultramegasuper empfindliche Haut. Wenn ich mich schminke, sehe ich aus wie angemalt. Und trage ich den taillierten Blazer, sehe ich aus wie eine Bibliothekarin. Vielleicht war es die Sehnsucht einfach einmal von schönen Dingen umgeben zu sein, es wert zu sein. Aber das muss anders, nämlich einfach und allein ICH sein! Dann klappt‘s auch wieder mit dem Spiegel.
Und auch in anderer Hinsicht war dieser Ausbruch nicht unbedingt die beste Idee: Der Staubsauger. Was soll ich sagen? An Saugkraft, wie ich es ursprünglich befürchtet hatte, fehlt es ihm nicht. Aber wie kann aus so einem kleinen Teil - abgesehen von Babys - so viel Lärm kommen? Ich denke, für seine Handhabung gelten die gleichen Arbeitsschutzgesetze wie für die Bedienung eines Presslufthammers. Ich habe noch nie so schnell die Wohnung gesaugt, immer in der Befürchtung, das Material hält nicht oder der Verlust meines Mietvertrages stünde kurz bevor.
Tussi, stirb!