Dienstag, 10. Mai 2016

Die bedauerliche Abwesenheit des Dorfes




Dieser Abschnitt ist aus einem Artikel, den ich in der Mai-Ausgabe der Perle gefunden habe, dem Kundenmagazin, das man bei Budni gratis bekommt. Ich will fast sagen umsonst!!! Und, was soll ich sagen??? Ich könnte kotzen.
Mir gehen diese Frauen, die ein Leben führen, das mit dem Leben einer Durchschnitts- oder Unterdurchschnittsfrau überhaupt nicht vergleichbar ist, auf den Sack. Ich könnte da ausrasten, wenn die dann noch überall anpreisen, wie toll alles vereinbar ist, der Spagat zwischen Beruf und Mutterschaft ein Klacks und Ganztagsbetreuung die Lösung aller Probleme sämtlicher Familien. Familien, die es schaffen in Hamburg von nur einem Gehalt überleben zu können, haben mit meiner Familie nichts zu tun.
Ich komme mir total verarscht vor. Das ist, als würde Jemand ein Problem dadurch lösen, indem er einfach sagt, dass es gar nicht existiert.
Aber hunderttausende Frauen haben dieses Problem in Deutschland. Jede Frau, die ich kenne, hat dieses Problem.
Die meisten haben studiert und gute Jobs (gehabt). Ich selbst habe einen Einser-Studienabschluss und ohne Kind früher jeden Job bekommen, den ich wollte. Heute will mich niemand mehr.
Auch politisch fühle ich mich verarscht. Die ganzen Elterngeld- und Elternzeit-Diskussionen... Das ist ja alles schön und gut, aber die Probleme beginnen doch erst, wenn die Elternzeit und das Elterngeld vorbei sind und man wirklich wieder in den Beruf zurückkehren möchte. Teilzeitmodelle sucht man im wahren Leben vergebens und wenn sich ein Chef dazu herablässt, sieht Teilzeit so aus, dass die Frau Vollzeitarbeit in Teilzeit schaffen soll.
Mein Leben würde sich auch in keiner Weise durch flexiblere, längere Betreuungszeiten in der Krippe und noch mehr Krippenplätze verbessern. Es ist in Hamburg überhaupt kein Problem das Kind von morgens bis abends irgendwo unterzubringen, wenn es sein muss sogar nachts.
Im richtigen Leben beginnen die Probleme, wenn das Kind krank wird. Und das wird es.
Irgendwie hat dann plötzlich jede Frau einen Mann an der Seite, dessen Job immer wichtiger ist, als der der Frau. Beim Kinderarzt: Oft nur Frauen mit den Kindern. Krankschreibung: Frau bleibt zu Haus. Frau ohne Gehalt und die Krankenkasse braucht Monate um das Kinderpflegekrankengeld auszuzahlen. Und zehn Tage im Jahr sind schnell vorbei und dann gibt's gar nichts mehr. Zwischendurch ereilt einen dann die Pest, die die Rotznasen in der Krippe deinem Kind angehängt haben, selbst. Und irgendwann hat man von drei Monaten maximal drei Wochen gearbeitet und wird von allen Kollegen gehasst, traut sich kaum die nächste Krankmeldung abzugeben und wünscht sich ganz dringend eine einsatzbereite Oma, die mal einspringen kann.
Um ein Kind aufzuziehen, braucht man ein ganzes Dorf, besagt ein afrikanisches Sprichwort. Dumm nur, wenn man in der Stadt irgendwie allein da steht, wenn es nicht nach Plan läuft. Und Kinder laufen nicht nach Plan.
Mittlerweile denke ich, dass es unmöglich ist, ein Kind aufzuziehen und einer - nennen wir es mal... normalen - Erwerbsarbeit nachzugehen. Es sei denn, man gebar einen Roboter, der einfach funktioniert und nie krank ist und grundsätzlich keinerlei eigene Bedürfnisse hat.
Vielleicht verzweifele ich auch gerade an dem Versuch mein/unser Leben in ein Schema zu pressen, in das wir (oder naturgemäß niemand) einfach nicht passen.
Irgendwie bleibt die bittere Erkenntnis, dass Emanzipation nichts weiter bedeutet, als das die Frau alles machen darf, es aber ihr Problem ist, wie sie es schafft. Frauentag, Muttertag - alles nette Ansätze, aber was nützt es mir im praktischen Leben oder hilft mir als Frau, wenn ich eine Schachtel Pralinen bekomme und sich ansonsten gar nichts tut, solange ich nicht selber was tue, aber durch gewisse Umstände manchmal einfach gar nichts tun kann, obwohl ich will und sollte?!