Samstag, 15. März 2014

Also, ich könnte das nicht!


Es ist mal wieder soweit: Zeit, dass der nächste Urlaub beginnt. Diese Woche habe ich eine junge Frau begutachtet, die sich vorher quasi selbst abgeschlachtet hat. Gestern hatte ich Kontakt zu Mutter Erde und am Montag werde ich die Reinkarnation von Jesus treffen, die aber eigentlich nicht in ihrer spirituellen Arbeit zur Errettung der Welt gestört werden will. Also, langweilig ist mein Beruf nicht. Tauschen will trotzdem keiner. Ich weiß nicht, wie oft ich schon gehört hab: Also, ich könnte das nicht! Gerade heute beim Mittagessen mit einer Freundin wieder folgendes: Deine Fälle sind ja mehr als gruselig! Du hast echt nen heftigen Job. Ich hab sehr viel Respekt davor. Ich weiß, dass ich das nicht könnte! Mich bringen die Lebensgeschichten von den Leuten hier schon um den Schlaf und ich wünschte, es würde mir nicht jeder sein Herz ausschütten!

Manchmal denk ich auch, ich kann es nicht (mehr). Kritisch wird es immer dann, wenn man schon morgens in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit überall Betroffene sieht, die real existieren, einen aber leider nicht am Arsch vorbeigehen, sondern schon strapazieren, bevor die eigentliche Arbeitsstelle erreicht ist: Selbstgesprächler im Bus, junge geistig eingeschränkte Dame mit Gehwagen und Highheels, Leute mit Sonnenbrille, die denken, man würde nicht merken, wenn sie einen anstarren (ein bisschen so, als ob sich ein Kind die Augen zuhält und infolge dessen glaubt, es sei unsichtbar) und Menschen, die dir beim Aussteigen aus der U-Bahn vor die Füße rotzen, um sich darüber richtig zu freuen. Je nachdem, wie viel Elend mir die Arbeitswoche beschert hat, variieren meine (Gewalt-)Phantasien zur Abwehr von sozialpädagogischer Arbeit in der Freizeit. Da ist von Teetrinken bis Baseballkeule alles dabei.

Im Grunde ist es ja auch unglaublich, dass ich völlig allein zu völlig fremden Menschen in die Wohnung gehe, um mit ihnen zu sprechen. Wenn ich vorher im Auftrag schon lese, dass sie oder er fremdgefährdend ist, dann versuche ich natürlich ins Büro einzuladen, wo ich im Notfall um Hilfe schreien kann (und hoffentlich ein Kollege kommt, um diese zu leisten). Kritisch wird es natürlich, wenn Menschen gefährlich sind, ich das vorher aber nicht weiß. Bisher hatte ich - Gott sei Dank - wenige angstmachende Situationen, selbst bei denen, die als gefährlich beschrieben wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es eklig wird, ist da schon höher: Messiewohnungen oder Menschen, die ohne Scheu körperlichen Pilzbefall zur Schau stellen und von massivem Durchfall sprechen. Was mir aber am meisten zu schaffen macht, ist die Verantwortung. Ich denke immer, egal, wie durchgeknallt oder was auch immer die Leute sind, wenn ich selber in eine solche Situation komme, dann möchte ich doch bitte auch an eine Person geraten, die mich ernst nimmt und zuhört und zu meinem Wohl entscheidet. Und das ist manchmal nicht so leicht. Ich finde, da ist ein bisschen Anspannung wohl erlaubt und Entspannung in der Freizeit mehr als verdient. Doch will sich das Elend einfach nicht daran halten und läuft mir ungestraft auch am Wochenende über den Weg - oder eben vor und nach der Arbeit. Das führt dann dazu, dass ich privat überhaupt keine Probleme wälzen will (und ich finde, gemessen an dem, was ich den ganzen Tag sehe und höre, auch keine Probleme habe, genau wie alle Menschen in meiner Familie oder im Freundeskreis). Da gibt man dann privat Ratschläge, wie: Reiß dich mal zusammen! und wird mehr als sozial inkompetent. Und, wenn es wieder genau so ist, dann denk ich: Also, ich kann das nicht! Da spricht mich dann jedes Jobangebot an, wie Schäfer, Friedhofsgärtner oder - gerade gefunden - Roboterprogrammiererin. Geil, will ich alles werden! Hauptsache mir geht keiner mehr auf den Sack für die drei Mark fünfzig im Monat. Und wenn ich dann für eine Mark fünfzig in den Urlaub gefahren bin und wieder gerade gerückt, muss ich feststellen, dass ich gar nichts anderes kann und wahrscheinlich ausrasten würde, wenn ich den ganzen Tag Schafe zählen müsste oder Akten von A nach B schieben würde.

Hallo Mensch, mit all deinen Abgründen: Ich kann es doch! (Und ich liebe es.)