Es ist mal wieder soweit: Zeit, dass der nächste
Urlaub beginnt. Diese Woche habe ich eine junge Frau begutachtet, die sich
vorher quasi selbst abgeschlachtet hat. Gestern hatte ich Kontakt zu Mutter
Erde und am Montag werde ich die Reinkarnation von Jesus treffen, die aber
eigentlich nicht in ihrer spirituellen Arbeit zur Errettung der Welt gestört
werden will. Also, langweilig ist mein Beruf nicht. Tauschen will trotzdem
keiner. Ich weiß nicht, wie oft ich schon gehört hab: Also, ich könnte das
nicht! Gerade heute beim Mittagessen mit einer Freundin wieder folgendes: Deine
Fälle sind ja mehr als gruselig! Du hast echt nen heftigen Job. Ich hab sehr
viel Respekt davor. Ich weiß, dass ich das nicht könnte! Mich bringen die
Lebensgeschichten von den Leuten hier schon um den Schlaf und ich wünschte, es
würde mir nicht jeder sein Herz ausschütten!
Manchmal denk ich auch, ich kann es nicht (mehr).
Kritisch wird es immer dann, wenn man schon morgens in der Bahn auf dem Weg zur
Arbeit überall Betroffene sieht, die real existieren, einen aber leider nicht
am Arsch vorbeigehen, sondern schon strapazieren, bevor die eigentliche
Arbeitsstelle erreicht ist: Selbstgesprächler im Bus, junge geistig
eingeschränkte Dame mit Gehwagen und Highheels, Leute mit Sonnenbrille, die
denken, man würde nicht merken, wenn sie einen anstarren (ein bisschen so, als
ob sich ein Kind die Augen zuhält und infolge dessen glaubt, es sei unsichtbar)
und Menschen, die dir beim Aussteigen aus der U-Bahn vor die Füße rotzen, um
sich darüber richtig zu freuen. Je nachdem, wie viel Elend mir die Arbeitswoche
beschert hat, variieren meine (Gewalt-)Phantasien zur Abwehr von
sozialpädagogischer Arbeit in der Freizeit. Da ist von Teetrinken bis
Baseballkeule alles dabei.
Im Grunde ist es ja auch unglaublich, dass ich völlig
allein zu völlig fremden Menschen in die Wohnung gehe, um mit ihnen zu
sprechen. Wenn ich vorher im Auftrag schon lese, dass sie oder er
fremdgefährdend ist, dann versuche ich natürlich ins Büro einzuladen, wo ich im
Notfall um Hilfe schreien kann (und hoffentlich ein Kollege kommt, um diese zu
leisten). Kritisch wird es natürlich, wenn Menschen gefährlich sind, ich das
vorher aber nicht weiß. Bisher hatte ich - Gott sei Dank - wenige angstmachende
Situationen, selbst bei denen, die als gefährlich beschrieben wurden. Die
Wahrscheinlichkeit, dass es eklig wird, ist da schon höher: Messiewohnungen
oder Menschen, die ohne Scheu körperlichen Pilzbefall zur Schau stellen und von
massivem Durchfall sprechen. Was mir aber am meisten zu schaffen macht, ist die
Verantwortung. Ich denke immer, egal, wie durchgeknallt oder was auch immer die
Leute sind, wenn ich selber in eine solche Situation komme, dann möchte ich
doch bitte auch an eine Person geraten, die mich ernst nimmt und zuhört und zu
meinem Wohl entscheidet. Und das ist manchmal nicht so leicht. Ich finde, da
ist ein bisschen Anspannung wohl erlaubt und Entspannung in der Freizeit mehr
als verdient. Doch will sich das Elend einfach nicht daran halten und läuft mir
ungestraft auch am Wochenende über den Weg - oder eben vor und nach der Arbeit.
Das führt dann dazu, dass ich privat überhaupt keine Probleme wälzen will (und
ich finde, gemessen an dem, was ich den ganzen Tag sehe und höre, auch keine
Probleme habe, genau wie alle Menschen in meiner Familie oder im
Freundeskreis). Da gibt man dann privat Ratschläge, wie: Reiß dich mal
zusammen! und wird mehr als sozial inkompetent. Und, wenn es wieder genau
so ist, dann denk ich: Also, ich
kann das nicht! Da spricht mich dann jedes Jobangebot an, wie
Schäfer, Friedhofsgärtner oder - gerade gefunden - Roboterprogrammiererin.
Geil, will ich alles werden! Hauptsache mir geht keiner mehr auf den Sack für
die drei Mark fünfzig im Monat. Und wenn ich dann für eine Mark fünfzig in den
Urlaub gefahren bin und wieder gerade gerückt, muss ich feststellen, dass ich
gar nichts anderes kann und wahrscheinlich ausrasten würde, wenn ich den ganzen
Tag Schafe zählen müsste oder Akten von A nach B schieben würde.
Hallo Mensch, mit all deinen Abgründen: Ich kann es
doch! (Und ich liebe es.)