Sonntag, 12. Mai 2013

Wunderbare Zeiten

Es grault mir schon vor dem Tag, an dem mein zukünftiges Kind fragt: Mama, warum hast du nie Fotos von mir auf Facebook gepostet? Liebst du mich denn gar nicht? Wer will denn da mit Datenschutz, Privatsphäre und Stasi 2.0 kommen, wenn sich das Kind ungeliebt fühlt? Oder kaum vorstellbar, wenn mein eventuell einmal existierender 13-jähriger Sohn plötzlich Viagra nehmen will, weil er nicht achtzig Mal am Tag drei Mädchen parallel gangbangen und ich ihn einfach nicht überzeugen kann, dass das völlig normal ist, weil die Handyfilmchen seiner Schulkameraden was ganz anderes zeigen. Wer hört in der Pubertät schon auf seine Eltern? Und ehe ich mich versehe, sitzt mein Baby ohne Schulabschluss im Linienbus und fährt an die Jersey Shore, weil ich ihr zur Einschulung kein Smartphone geschenkt habe, mit dem man zum Mars skypen kann. Und da lässt sie sich dann komasaufend von allen Mitbewohnern pimpern, um anschließend bei Teen Mom mitzumachen. Und das alles noch vor Erreichen der Volljährigkeit! Oh Gott, sind in die ganzen Berechnungen, was Kinder kosten (die ich eigentlich verabscheue), schon mögliche Kautionen und Anwaltskosten einbezogen? Ich mein nur, falls meine kleine Prinzessin mal im Suff über jemanden drüber fährt, weil die Lindsey Lohans und Paris Hiltons der Gegenwart (und wahrscheinlich Zukunft) das ja auch ständig so machen, ohne dass eine wirkliche Konsequenz folgt, außer noch mehr Geld zu verdienen. Und spätestens dann ist es wohl auch schon Zeit für Celebrity Rehab. Puh! Könnte ich das aushalten? Kommt man als Mutter (oder Vater) gegen gesamtgesellschaftliche Dummdreistigkeit und Verblödung an? Oder auch gegen Alkohol- und Zigarettenwerbungen, die Coolness versprechen und selbst auf Internetseiten für Jugendliche mitten im Film eingespielt werden? Mir soeben selbst passiert, als ich mich auf viva.tv verirrte und was nachschaute; und ehe ich die eigentliche Information erhalten habe, kam erst mal Bacardi-Oakheart-Werbung. Hallo??? Liegt die Zielgruppe von VIVA nicht irgendwo zwischen 11 und 20 Jahren?
Wenn Kinder wirklich die Investition in die Zukunft sind, läuft doch irgendetwas grundlegend falsch. Vielleicht müsste man das gesamtgesellschaftliche Investment da noch mal überdenken, denn mit der Art und Weise, wie mit der Ressource umgegangen wird, kann ja niemand ernsthaft eine rosige Zukunft erwarten. Schon gar nicht für den Nachwuchs selbst.
Kann es einem als Elternteil überhaupt möglich sein gegen so viel Dämlichkeit in der Welt anzustinken? Wie groß ist die Chance, dass das eigene Kind nicht doch den Verlockungen und den Ansprüchen und Erwartungen der Gesellschaft zum Opfer fällt und sich mit 12 Jahren eine Brustvergrößerung oder Schwanzverlängerung zum Geburtstag wünscht? In einer Gesellschaft, die sich entweder zu Tode arbeitet oder von selbiger nichts wissen will. Eine Gesellschaft, die Vorbilder ungestraft Steuern hinterziehen lässt, während die Supermarktkassiererin bei einem fehlgebuchten Pfand-Bon im Wert von 1,50 € schon gefeuert wird. Eine Gesellschaft, in der nur noch das Image zählt, nicht der Inhalt. Arbeit lohnt sich für den Normalbürger nicht - weder materiell noch in Bezug auf sonstige Wertschätzung. Darum will auch niemand mehr anderen den Arsch abwischen oder Häuser bauen. Darum wollen alle Model, Sänger oder It-Girl werden. Und wenn das nicht klappt, Bescheißer.
Ich erwarte eine rosige Zukunft. Eine, die schon begonnen hat. Eine Welt, in der die Ergebnisse einer Fit-for-Fun-Studie, als wissenschaftlich relevant angepriesen werden oder am Dammtor-Bahnhof auf Großplakaten mit Nackten für einen Swinger-Klub geworben wird. Ich bin begeistert! Also, wenn wir da nicht wissen, worauf es wirklich ankommt. Pädagogisch wertvoll. Als erziehungsgeeignet empfohlen.
Neulich sagte eine Freundin zu mir, wer zu viel darüber nachdenkt und nebenbei auch noch auf den richtigen Zeitpunkt wartet, der bleibt kinderlos. Das würd ich so unterschreiben - bei gleichzeitiger Erleichterung heute nicht mehr jugendlich zu sein, auch wenn ich es mir allzu gerne einbilde!