Donnerstag, 16. Februar 2012

Paula

Ich denke heute noch an Paula. Es gab viele Kinder, die mir leidtaten, die ich zumindest in Gedanken mit nach Hause nahm, von denen ich wusste, dass sie im Keller eingesperrt werden oder die Mutter vor ihren Augen mit Freiern rummacht. Kinder, die keine Geschenke zu Weihnachten bekommen. Von all diesen Kindern ist mir Paula auch nach über zehn Jahren am meisten im Gedächtnis. Klein, zierlich, große Augen, immer abgewrackte und viel zu große Klamotten, manchmal eine Spange im viel zu kurzen Haar, die Susi ihr überlassen hat. Susi, fünf Jahre älter, nicht weniger vom Schicksal gebeutelt und Platznachbarin am Pädagogischen Mittagstisch.

Und dann, an einem Montag, kam Paulas Schwester mit leuchtenden Augen zum Mittag. Paula hat so richtig den Arsch voll bekommen. Die Lehrerin hatte im Hausaufgabenheft darum gebeten, dass die Mutter ihr Brot mit in die Schule geben sollte. Paula hatte Hunger. Ich werd dir helfen, überall rum zu erzählen, dass du bei mir nix zu Fressen kriegst! Da setzte es ‘ne ordentliche Tracht Prügel, wie Franziska glückselig zu berichten weiß. War es die Freude, die aus ihr sprach, diesmal nicht selbst fällig gewesen zu sein?

Dann hatte Paula Läuse. Wir mussten sie nach Hause schicken. Am nächsten Tag kam sie wieder. Mit Glatze. Ein siebenjähriges Mädchen wurde den Abend zuvor mit Brennspiritus übergossen, heulte dabei erbärmlich, doch die Mutter wollte jede Laus abtöten, bevor sie der Tochter eine Glatze scherte, die sie selbst seit Knasttagen trug.

Wir haben nichts gesehen und gehört, bis das Fernsehen kommt und uns die Situation schon immer irgendwie komisch vorkam…