Es flutscht irgendwie nicht. In Anbetracht der
weltpolitischen Lage mag es mir einfach nicht gelingen, mich über Banalitäten
zu beklagen. Ich fühle mich nicht legitimiert, etwas Schnödes zu verbreiten.
Vor ein paar Wochen dachte ich noch, ich hätte
Probleme: Alle technischen Geräte kaputt, Ebbe auf dem Konto und
Orientierungslosigkeit im alltäglichen Leben. Und dann fingen Leute an, sich
über tote Kinder im Mittelmeer zu freuen. Ich habe im Videotext nur von dem
Bild des kleinen Jungen gelesen und brach schon fast in Tränen aus. In den
Abendnachrichten habe ich es dann gesehen und auch, wie Polizisten in Ungarn
auf eine hochschwangere Frau einprügelten. Da war es aus.
Solche Bilder zeigen ganz deutlich das Versagen der
Menschheit, also auch mein Versagen. Ich habe mich noch nie so wenig von Nutzen
gefühlt, noch nie so wenig hilfreich. Früher wollte ich immer unbedingt für die
UN arbeiten. Für das Kinderhilfswerk oder die Flüchtlingshilfe. Im Moment habe
ich nicht das Gefühl, dass irgendwer da was tut, das sinnvoll ist. Machen die
was, außer auf sich aufmerksam? Was bringt es denn, wenn Hollywoodmiezen armen
Flüchtlingskindern mal über den Kopf tätscheln? Weltfrieden? Und, wo ist die
EU? Irgendwie fühlt sich da keiner mehr zugehörig, wenn er nicht kriegt, was er
will. Und keiner will Flüchtlinge.
Mein Problem ist es, dass ich immer die Probleme der
ganzen Welt lösen will. Sofort. Allein. Dabei komme ich nicht mal gegen die vor
Ort an.
Meine Freundesliste schrumpft stetig. Das macht mich
traurig. Nicht, weil ich viele Facebook-Freunde brauche - wer nie beliebt war,
muss sich zum Glück nicht bemühen, beliebt zu bleiben - sondern die Ursache des
Schwundes betrübt mich.
In einem Dorf, in dem ich früher auch mal wohnen
musste, sollen Flüchtlinge in der Mehrzweckhalle einquartiert werden. Das Dorf
steht Kopf. Ein Dorf, in dem ich noch die Neue war, als ich nach 5 Jahren
wieder wegzog, und in dem es noch kein Mensch mit Migrationshintergrund
dauerhaft schaffte, sich niederzulassen.
Es war mir nie peinlich aus dem Osten zu kommen. Ich
hatte immer Heimweh nach Mecklenburg.
Im Moment schäme ich mich und Mecklenburg hat es mir
noch nie so einfach gemacht, es nicht zu vermissen. Menschenfeinde gibt es auch
in Hamburg. Als ich in die Wohnung einzog, musste ich Propaganda-Aufkleber in
der Kammer abkratzen, aber gefühlt bilden sie hier keine Wand, gegen die man
nicht ankommen kann. Eine Wand von Dummheit. Da beklagen sich Leute nach der
Einwohnerversammlung in dem Dorf auf Facebook darüber, dass sie kein
"Özdemir" als Bundeskanzler haben wollen. "Deutschland wird sich
währen." Und es wird schon mal angekündigt, dass er/sie weiß, wo bei der
nächsten Präsidentenwahl das Kreuz gemacht wird.
Ich meine, wo soll man denn da anfangen? Über jeden
Herrn Özdemir könnte sich dieses Dorf freuen. Vielleicht bietet Herr Özdemir
den Kommentatoren auch ein wenig Nachhilfe in Deutsch und Politik an, für
Leute, die sich "währen" wollen und glauben, dass wir hier einen
Präsidenten direkt wählen, für alle Herren und Frauen KOTZlowski oder wie
solche Menschen so heißen, die vom Familiennamen ausgehend schon mindestens Urgermanen
sind.
Ich persönlich habe ausschließlich Angst vor Dummheit.
Vor Menschen, die aus Dummheit Kriege führen und dafür sorgen, dass Millionen
Zuflucht suchen - ja, in Kauf nehmen, ihre Kinder auf dieser Flucht sterben zu
sehen oder selbst zu sterben - und vor den dummen Menschen unter uns, die
Propaganda-Internetseiten betreiben, vor Teilern, vor Brandstiftern, vor
Steinewerfern, vor Leuten, die in Berliner S-Bahnen Kinder mit
Migrationshintergrund bepinkeln und vor allem vor Leuten, die dabei zugucken
und denen, die (innerlich) applaudieren. Vor denen, die lange bevor ein
Flüchtling von weitem zu sehen ist, all das machen, was sie diesem an
kriminellen Handlungen unterstellen. Vor Menschen, die für Angst und Schrecken
sorgen.
Und, dann gibt es noch die, die auf den ersten Blick
und auch auf den zweiten nicht dumm sind, aber trotzdem unglaublich dumme
Sachen sagen, aber argumentieren und den Anschein von Seriosität und Wissenschaftlichkeit
erwecken. Durchaus logisch. Parteien, Gewerkschaften, Rechtsstaatsinstrumente,
die die Gunst der Stunde nutzen, um Menschenfeindlichkeit im Rahmen der
Meinungsfreiheit zu etablieren und gesellschaftsfähig zu machen. Gefährlich und
mit nicht weniger Angst und Schrecken.
Ich bin nicht blind und taub. Mir ist durchaus klar,
dass mit der Einreise von hunderttausenden Flüchtlingen das Problem nicht
behoben ist. In Deutschland fangen sie dann erst an, die Probleme. Aber es kann
keine Lösung sein, sich abzuschotten, unmenschlich zu sein, Aufnahme und Hilfe
zu verweigern. Ich glaube sogar, viele Chancen werden vertan, um Flüchtlinge
besser ankommen zu lassen und zu integrieren, weil die Regierung und ihre
Behörden schwerfällig, langsam sind.
Ich weigere mich einfach zu glauben, dass die Mehrheit
der Menschen in diesem Land in Angst und Schrecken leben will. Die Frage ist,
in was für einer Welt - oder zumindest in was für einem Land - jeder einzelne
von uns leben möchte. Ich gehe davon aus, in einem Land ohne Angst und
Schrecken. Dann ist die Antwort ganz einfach: Uns gegen die Menschen zu stellen,
die genau das verbreiten.