Donnerstag, 16. Juli 2015

Miteinander


Es ist ja immer mal wieder up to date über Zivilcourage zu sprechen, aber eigentlich frage ich mich, ist Zivilcourage nicht schon zu viel verlangt, denn es gibt ja nicht mal bzw. kaum noch ein (rücksichtsvolles) Miteinander?! Irgendwie ist kaum etwas zivil und schon gar nichts couragiert. Vielleicht bin ich auch nur Opfer meiner Hormone und besonders empfindlich, aber irgendwie vergeht mir dann doch das Lachen, wenn ich abends im vollbesetzten Bus von einem Jugendlichen angeschrien werde, der breitbeinig über zwei Sitzplätze hängt und mich ankeift: Warten Sie mal. Warten Sie mal. Den Platz jedenfalls hab ich nicht bekommen, denn der war für seine Mieze reserviert. Menschen streiten sich bzw. konkurrieren mit einer offensichtlich Schwangeren um einen Platz im Bus, drängeln ohne Rücksicht auf Verluste. Da wird schon mal der Ellenbogen ausgefahren - wo ich Busfahren im Moment eh nicht vertrage und ich gestern fast jemanden bekotzt hätte, der so stank wie die schlimmste Wohnung, die ich beruflich mal betreten musste. Mmh, eigentlich hätte er es verdient.

Aber nicht nur in Bus oder Bahn, nein, auch davor: Neulich in Wandsbek hat mich an der Bushaltestelle auf dem Gehweg ein Mitte-Sechzigjähriger mit dem Fahrrad fast umgenietet und mich dann noch vorwurfsvoll gefragt: Wie kann man denn so doof sein? Die Frage kann ich nur zurückgeben!

Dabei hat sich nichts geändert. Hamburg ist nicht schwangerenunfreundlich, es ist insgesamt wohl eher menschenunfreundlich, denn all das ist mir früher auch schon passiert. Aber, wenn man zerbrechliche Fracht ist bzw. trägt, dann reagiert man nicht so abgefuckt wie normal. Und normal ist, dass selbst Omas dich mit ihrer Handtasche verprügeln, um den Platz zu kriegen, den sie wollen.

Auch sonst war ich immer diejenige, die im Baumarkt von anderen angerempelt und  über die dann noch verständnislos mit dem Kopf geschüttelt wird. Vielleicht muss ich auch abgefuckter werden und mein Schild von der Stirn nehmen (Mit mir kann man es ja machen! Selbstverständlich weiche ich Ihnen aus!), wenn mir mal wieder eine Wand aus Fußgängern entgegen kommt und mir A) entweder den Weg abschneidet oder B) ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass ich auf die Straße ausweiche.

Letzte Woche im Supermarkt, in dem ohnehin nicht mal Platz ist, um seine Einkäufe einzupacken, fiel mir mein Portemonnaie runter und das Kleingeld rollte nur so überall durch die Gegend. Was soll ich sagen? 1. konnte ich vor Bauch kaum den Boden erreichen, um alles wieder aufzuheben, und 2. sind meine Hände so angeschwollen, dass ich das auf dem Boden liegende Geld eigentlich kaum greifen konnte, und 3. war ich mal so total angekotzt, weil alle Menschen auch nur angekotzt waren, dass sie nicht an mir vorbeikommen, weil ich offensichtlich einfach nur dämlich bin und den Verkehr aufhalte. Wie schlecht die Leute drauf sind! Unglaublich!

Und, warum wundere ich mich eigentlich über den Paketmann, der gerade bei uns geklingelt hat? Viermal stürmisch. Beim ersten Mal dachte ich noch, ich hätte den Türöffner nicht richtig betätigt, beim zweiten Mal gab es da schon Zweifel, aber beim dritten und vierten Mal kam mir die Sache doch komisch vor und ich ging runter an die Haustür. Er komme auf keinen Fall mit dem Paket hoch. Das sei ihm zu schwer. Er warf es von seiner Sackkarre ab, verlangte meine Unterschrift und verschwand. Da stand ich nun.

Eine Freundin, bei der ich mich gerade ausheulen wollte, verstand mein Problem nicht so recht. Warum rege ich mich so auf? Sei nun mal so. Vielleicht rege ich mich auf, weil es so ist und ich ohne dicken Bauch immer diejenige bin, die anderen den Platz freimacht. Und, ich rege mich auf, weil ich nicht will, dass es so bleibt. Zivilcourage... wäre ja nett, aber ich wäre schon zufrieden, wenn wir insgesamt netter wären.