Und, was machen Sie so? Dabei zusehen, wie die
Wissenschaft sich selbst degradiert und völlig unglaubwürdig macht? Früher
hatte es doch wirklich Zugkraft, wenn etwas durch wissenschaftliche Studien
belegt wurde. Heute glaube ich keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht
habe oder für deren Ergebnis ich nicht ordentlich bestochen worden bin.
Vielleicht wusste ich früher auch einfach noch nicht, wie es läuft. Es ist
erschreckend - wie die diesjährigen Grimme-Preis-Nominierungen.
Und Sie? Geht‘s Ihnen gut? Das kann nur ein Irrtum
sein! Dem DSM zufolge - der "Bibel der Psychiatrie", wie es kürzlich
im SPIEGEL 4/2013 so nett formuliert war - sind wir nämlich alle ein bisschen
bluna. Und wer es noch nicht ist, dem oder der kann spätestens mit der neuesten
Ausgabe des DSM geholfen werden. Ab Mai ist es soweit. Die neueste Auflage wird
vorliegen. Jahrelang hat man an neuesten Störungen gebastelt. Allen, die noch
kein ADHS haben, bietet man jetzt zahlreiche Alternativen. Wie wäre es mit
einer Binge Eating Störung, Arbeitsplatzphobie oder Hoarding Disorder? Auch
nicht? Sie Anfänger! Aber vermutlich trauern Sie länger als zwei Wochen nach
dem Verlust eines geliebten Menschen? Na, dann ist doch alles klar! Sie sind
geisteskrank und dürfen Pillen schlucken. Herzlichen Glückwunsch; grundsätzlich
schon mal an jeden, der demnächst irgendeine Diagnose erhält. Sie können nichts
dafür! Sie sind krank! Ach, und meine besten Glückwünsche an die
Pharmaindustrie. Ich finde auch, der Gesunde ist einfach nur noch nicht richtig
untersucht worden und für jedes Problem gibt es eine Lösung zum Einnehmen.
Ach, wie habe ich die Wissenschaft geliebt und jede
meiner Abschlussarbeiten exakt den Standards unterworfen. Ich habe bis zur
absoluten Verschmelzung mit dem Thema nächtelang durchgearbeitet, penibel
untersucht, dokumentiert, behauptet, belegt und kapiert statt kopiert. Und nun?
Lese ich im SPIEGEL, wie angesehene Wissenschaftler sich zu Diagnosen stümpern,
um unsterblich zu werden. Und das ist ja erst der Anfang.
Vor einiger Zeit suchte mein Vorgesetzter Freiwillige
aus unserem Team, die an einem Forschungsprojekt teilnehmen wollen. Als ich
dann noch hörte, dass dieses Projekt von den beiden Professoren durchgeführt
werden soll, die ich in meiner Studienzeit als die besten an der ganzen
Hochschule wahrnahm, sagte ich begeistert zu. Nach fast einem Jahr Teilnahme
ist das Ergebnis lediglich Ernüchterung. Ist die Wissenschaft heutzutage
bedeutungslos, weil jeder Wissenschaftler bedeutend sein will, ohne wirklich
Bedeutung zu haben oder Bedeutung zu schaffen? In unserem Fall jedenfalls ist
überdeutlich, dass hier nur auf den Markt gedrängt wird, weil das Thema gerade
up to date ist und man sich unsterblich machen kann. Da ist es zweitrangig, ob
gestümpert wird. Hauptsache, es geht schnell und bringt das Ergebnis, welches
man für sein Buch, das bald erschienen soll, schon vorformuliert hat. Da sind
die Versuchspersonen, inklusive mir, mit ihren Fragen und der ständigen Kritik
eher lästig. Da holpert man durch die regelmäßigen Treffen und tut weiter so,
als sei keine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit im vorliegenden
Konzept festzustellen, auch nicht, als vorgestellt wird, dass die
Vorher-Nachher-Vergleiche gar nicht vergleichbar sind, denn die Proben sind
nicht mal von denselben Personen. Das ist ja, als sei ich krank und mir wird
Blut abgenommen, um in zwei Wochen festzustellen, ob alles wieder in Ordnung
ist, schicke ich aber Herrn Müller zur Blutprobe, weil der Termin mir so nicht genehm
ist.
In der ZEIT habe ich vor einiger Zeit mal gelesen:
"Die Forschung zerlegt die Welt so sehr, dass die Zusammenhänge verloren
gehen!" Da muss man sich nicht wundern, wenn keiner mehr den Überblick
hat. Das hätte mir eigentlich schon im Studium auffallen müssen, denn wie oft
mussten wir Sequenzen auswendig lernen, wie in einer doofen Schule mit
Anwesenheitspflicht?! Das habe ich wohl abgespalten und ausgeblendet. (Hallo
DSM, gilt das auch als Krankheit, gegen die ein Kraut gewachsen ist?)
Und, war ich zum Ende des Studiums nicht auch - zumindest
kurzzeitig - total blind und taub oder einfach nur angenehm gebauchpinselt, als
meine Diplomarbeit mit 1,0 bewertet wurde und ich dann das Angebot erhielt, die
Ergebnisse meiner Untersuchung in einer Fachzeitschrift zu veröffentlichen?!
Als die Professorin mich dann zum dritten Mal bat, Korrekturen am Artikel
vorzunehmen und ich bei der vierten Überarbeitung dann das Gefühl hatte, dass
weder von meinem Thema noch der Artikel
sonst etwas beinhaltete, wofür es sich zu sterben lohnt oder ich meinen Namen
hergebe, sagte ich dankend ab. Das kam nicht so gut an, denn auch sie hätte
wohl gern noch einmal ihren Namen als Co-Autorin irgendwo abgedruckt vor der
Pension gesehen. Das letzte Mal war schon zu lange her.
Verirrt. Verraten. Verkauft. Ohne meinen Beitrag.