Es
gibt so Tage, an denen ich mich frage, wieso ich Mutter werden konnte. Fakt
ist, ich hatte Sex, der offenkundig zur Fortpflanzung beiträgt. Vielleicht ist
die Frage eher, wieso ich Sex hatte, ohne die Fortpflanzung zu verhindern.
Je
länger ich Mutter bin, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass es nicht meine
beste Idee war und das liegt ganz und gar nicht am Kind, denn das ist das
Supermegatollsteklügsteallerbestewahnsinnskind aller Zeiten. Es liegt eher
daran, dass ich das Gefühl habe, dass es kein Platz für
Supermegatollsteklügsteallerbestewahnsinnskinder hier in unserem Kaff,
vielleicht auch auf der Welt, gibt. Eigentlich gibt es überhaupt keinen Platz
für irgendein Kind. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich glaub, ich war auch so
ein Kind. Und alles läuft so einigermaßen okay bis – ich sag’s jetzt, das
schlimme Wort – SCHULE in unser Leben tritt.
Ich
habe in meinem Leben sehr viel unternommen, um Schule aus dem Weg zu gehen. Und
das ist völlig irre, denn insgesamt habe ich offiziell ca. 16 Jahre an Schulen
verbracht. Und dann hab ich noch studiert. Schule und ich… wir haben uns meist
nur aus der Ferne verstanden. Ich fing schon in der ersten Klasse an regelmäßig
krank zu werden, hatte aber total Bock Schule zu spielen und machte die
Hausaufgaben für die Nachbar-Viertklässlerin, die dafür das erste Mal in ihrem
Leben eine Eins bekam. Fernlernen, also möglichst weit weg von meiner
eigentlichen Schule, war top. In der Schule war das Erklärte so bliblablub und
verschwamm zu einem elendig ausschweifenden Erklärungsklumpatsch, bei dem sich
mein Gehirn ausschaltete. Das ist genauso unmöglich da zuzuhören, wie mit dem
Auto 10 km/h zu fahren. Das ist weder Stehen noch Fortbewegung. Zuhause las ich
das einmal und es ging ein Licht auf. Da meldete sich nicht auch noch der Fünfte
und stellte dieselbe dämliche Frage, die schon achtmal beantwortet wurde. Zuhause
wurde ich nicht gemobbt. War nicht die Neue, obwohl ich schon 3 Jahre im Dorf
wohnte. Zuhause konnte ich so laut Nase putzen wie ich wollte und meine
Klamotten haben auch niemanden gestört. Ich musste nicht asthmatisch den
Sportplatz umrunden und war auch nicht die, die zuletzt in die Mannschaft
gewählt wurde. Und ich hatte genug Zeit mich mit den wirklich wichtigen Dingen
des Lebens zu beschäftigen. Essen, schlafen, lesen, mir mit der Stopfnadel die
Ohren durchbohren, schreiben, Farin Urlaub.
In
der Pubertät perfektionierte ich das alles daher noch. Es kamen neue Vorgaben
und nun durfte man nur noch eine bestimmte Anzahl an Tagen fehlen, die ich
natürlich im Blick behalten musste, wenn ich mir mit Lippenkonturenstift die
Augen so umrandete, dass ich sehr krank nach Hause geschickt wurde. Die
Institution Schule hat mir nichts gegeben und fand auch nichts auffällig. Doch
ich selber hatte das Gefühl, dass ganz eindeutig etwas mit mir nicht stimmte. Das
war sehr auffällig. Ich fühlte mich permanent, als müsste ein runder Pflock in
die eckige Öffnung gekloppt werden und da passte ich ganz eindeutig nicht rein.
Richtig
schwierig wurde es dann, als man in der Berufsschule offizielle
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom Arzt brauchte. Ich möchte an dieser
Stelle davon abraten eine gewisse Ärztin in Schwerin zu konsultieren, bei der
angeblich die AU-Bescheinigungen schon im Wartezimmer ausliegen, und ihr zu
erzählen, man hätte Magen-Darm-Grippe. Was man auf jeden Fall hat, ist ganz
schnell einen Finger im Po, und die Ansage, dass sie das nicht glaubt.
Als
ich irgendwann erleichtert allen Schulen den Rücken kehrte, war ich froh und
ganz sicher nie mehr mit diesem Thema in Berührung zu kommen. Ich Vollidiot.
Als
Elternteil zurück an die Schule zu kommen, ist noch beschissener als selber
Schüler zu sein. Man ist mit der Scheißigkeit des Systems konfrontiert und es
weckt dazu noch Erinnerungen, auf die man verzichten kann. Wäre es nicht so
abartig, wäre ich fasziniert davon, wie Schule es schafft, mir permanent das
Gefühl des Totalversagens zu vermitteln. Früher als Mensch und heute als
Mutter. Denn ganz eindeutig stimmt mit
mir schon wieder was nicht. Und der Apfel und so… Ja, der kommt ganz eindeutig
von meinem Stamm und ist sehr nah gefallen. Ist schon unnormal, wie ein Kind in
diesem Alter an seiner Mutter hängt. Nahezu ekelhaft. Er hat ja auch diese
feinen Gesichtszüge und trägt er sein Haar freiwillig so? Das ist ja schon
außergewöhnlich. Und dann ist er viel zu langsam und kann sich überhaupt nicht
konzentrieren, vergisst alles. Versuchen Sie es doch nochmal mit dem
Methylphenidat. Und das mit dem Schulsport klappt gar nicht. Ich kann da auch
nicht glauben, dass er zu Hause Sport mag. Seine motorischen Fähigkeiten sind
unterirdisch. Sie müssen die Stifthaltung IMMER korrigieren, egal was er macht,
selbst beim Malen oder Zeichnen. Und die Besteckhaltung geht gar nicht. Das
sieht unmöglich aus. Und sensibel ist er auch. Ganz schön sogar. Spielt im Hort
auch viel mit sich selbst. Scheint gar keinen Anschluss an andere Kinder zu
suchen. Ja, inhaltlich, also mit dem Stoff gibt’s keine Probleme. Im letzten
Mathetest volle Punktzahl. Ja, erfunden hat er neulich auch was. Aber sollte er
nicht nochmal zur Ergotherapie? Er ist auf der Rückfahrt vom Ausflug im Bus
eingeschlafen. Können Sie ihn heute bitte früher abholen? Er träumt zu viel und
ist in seiner eigenen Welt. Und wissen Sie, wir sind nicht mehr im
Kindergarten. Das mit dieser Riesenuhr am Arm heute Morgen, also, das geht nun
wirklich nicht. Ja, die zwei Monate Fehlzeit, ja, die hat er aufgeholt. Aber,
sagen Sie ihm doch bitte auch noch mal, dass bei uns an der Schule strengstes
und absolutes Schneeballwurfverbot herrscht.
Nun
kloppen sie diesen eckigen Pflock doch mal ordentlich in die runde Öffnung.