Wie
dem ein oder der anderen schon aufgefallen sein mag, arbeite ich im sozialen
Bereich. Neulich - auf dem Weg von einem Hausbesuch zurück ins Büro - gingen
vor mir zwei ca. 20jährige und unterhielten sich darüber, was sie denn mal
werden wollen. Das Mädchen fragte den Jungen, warum er denn nicht
Sozialpädagogik studieren will. Sie würde ihm dies wärmstens empfehlen. Als
Mann hätte er von vorneherein bessere Karten, weil es so wenige Männer in
diesem Bereich gäbe und klar, man verdiene nicht so viel, aber man bekäme
sooooo viel von den Leuten zurück. Ich war kurz in Versuchung hier
einzuschreiten, denn gerade nach DIESEM Hausbesuch hatte ich nicht das Gefühl,
soviel zurückzubekommen. Das einzige Feedback, das mir in Aussicht gestellt
worden war, war eine Ohrfeige.
Oft
hatte ich schon das Vergnügen irgendeinen Keim aus dem Krankenhaus mit nach
Hause zu tragen, irgendein Virus oder einfach nur Angst, dass ich irgendetwas
mittrage, wenn ich mal wieder knietief in irgendeinem Messiedreck stehe.
Das
erzählt einem im Studium kein Mensch. Es ist eher eine Randnotiz, dass die
Hilfe, die man bietet, nicht immer erwünscht ist, was die Arbeit mit den
Betroffenen natürlich schwieriger mache.
Manchmal
unmöglich. Wie bei der Familie, bei der ich zuvor war.
Wir
hatten eine Meldung von einem Pflegedienst bekommen, mal nach dem Rechten zu
sehen. Es sei Eile geboten, weil der Verdacht auf häusliche Gewalt bestünde.
Die Ehefrau habe Angst vor ihrem Mann. Das Pflegepersonal habe die Ehefrau
bereits wiederholt im Treppenhaus angetroffen. Diese habe jeweils angegeben aus
Furcht vor ihrem Mann aus der Wohnung geflohen zu sein. Der Betroffene wisse
von dieser Meldung nichts. Er sei dement. Es bestünden Vollmachten, sowohl die
Ehefrau als auch die Kinder seien bevollmächtigt.
Noch
ehe die Meldung bei uns eingegangen war bzw. parallel dazu, meldeten sich die
Kinder schriftlich und teilten mit, dass eine Intervention meinerseits
überhaupt nicht nötig sei. Man habe den Vater nach wie vor nicht darüber
informiert, was hier laufe, da er sich hierüber sehr aufregen würde. Weiterhin
wurde mitgeteilt, dass es zu keinem Zeitpunkt zu häuslicher Gewalt zwischen dem
Vater und seiner Ehefrau gekommen sei. Man wolle doch festgestellt wissen, dass
die meldende Pflegestelle auf Nachfrage keinen bestimmten Vorfall habe benennen
können. Ebenso wolle die Ehefrau weiter mit dem Betroffenen zusammenleben und
auch er wolle dies und lehne den Umzug in ein Pflegeheim entschieden ab.
Zugegebenermaßen sei die häusliche Situation anstrengend und angespannt. Es sei
ebenso richtig, dass der Vater zur verbalen Aggressivität neige und in solchen
Momenten sei es bereits dazu gekommen, dass die Ehefrau des Vaters die Wohnung
verlassen habe, bis sich die Situation etwas entspannt habe. Die Pflege des
Vaters erfolge nahezu ausschließlich durch die Ehefrau. Zweimal die Woche
würden ihm externe Kräfte Gesellschaft leisten - auch zur Entlastung der
Ehefrau.
Die
Hoffnung, dass ich der Meldung des Pflegedienstes nicht nachgehe, erfüllte sich
zum Entsetzen der Kinder nicht. Es ist (mir) egal, ob jemand schöne Briefe
schreibt, ob Tochter und Sohn gute Berufe haben. Das hat für meinen Job erst
einmal keine Bedeutung. Mir wurde schon oft erzählt, ich könne mir diesen und
jenen Besuch bei Frau oder Herrn XY sparen, da kaum ansprechbar und blind und
taub und dann steh ich in der Tür und Frau XY ist weder blind noch taub und
durchaus ansprechbar.
Ob
man dem Vater denn beim Hausbesuch unbedingt die Gründe meines Erscheinens
nennen müsse? Auf jeden Fall wolle eines der Kinder dabei sein.
Der
Betroffene - am Tisch sitzend und Zeitung lesend - begrüßte mich zunächst
freundlich. Mit dem Sohn war abgesprochen, zuerst ein Gespräch mit dem
Betroffenen über die Betreuung und Versorgung im Allgemeinen zu führen, auch um
ein Bild über seine gesundheitliche Verfassung, insbesondere über seine
Orientierung zu erhalten. Anschließend sollte ich die Möglichkeit erhalten mit
der Ehefrau allein zu sprechen.
Vordergründig
wirkte der Herr freundlich und orientiert. Schnell wurden einerseits allerdings
Gedächtniseinschränkungen deutlich und andererseits schien sein Misstrauen mir
gegenüber zu wachsen, was wiederum zu wahrnehmbarer Gereiztheit führt. Er fragt
mehrmals, wo ich denn herkomme und wer dafür gesorgt habe. Um ihm nicht
zusätzlich das Gefühl einer Kontrolle durch mich zu vermitteln, führe ich das
Gespräch ohne mir - wie sonst üblich - Notizen zu machen. Der Besuchte
wiederholte mehrfach, dass ja nicht jeder so alt werden würde, wie er es
bereits ist. Dass er am 17.05. Geburtstag hat, das erinnert der Betroffene.
Fragen bezüglich des Pflegedienstes konnte er nicht ohne Hilfe beantworten.
Wie
durch die ebenfalls anwesende Ehefrau und den Sohn erfahren wurde, ist der
Pflegedienst nach wie vor tätig, doch gäbe es mittlerweile lediglich einen
Einsatz in der Woche. Dies habe den Vorteil, dass der Betroffene sich nicht
täglich gestört fühle.
Ich
saß mit dieser Familie am Küchentisch und in mir sträubte sich alles Teil
dieses Schmierentheaters zu sein. Alles ein Eiertanz, nur damit der Herr nicht
gestört wird, ausflippt. Ein Herr, der weder körperlich noch kognitiv dazu in
der Lage wäre, irgendeinen von uns ernsthaft zu schädigen.
Er
bestätigt in dem Gespräch, dass für ihn alles so bleiben solle, wie es ist. Auf
die Vollmachten angesprochen, bin ich nicht sicher, ob er sich deren Existenz
bewusst ist, doch gab er an, er fühle sich zu Hause wohl und gut durch seine
Frau versorgt. Spannungen zwischen ihnen werden durchaus deutlich. Es kommen
ebenso Hinweise darauf, dass er wenig kooperativ ist - bezüglich des Duschens
z.B.
Dass
die häusliche Situation schwierig ist, ist meinem Eindruck nach durchaus
vorstellbar. Er scheint empfindlich leicht erregbar. Es erfolgen jeweils
Beschwichtigungsversuche durch den anwesenden Sohn, die während meiner
Anwesenheit den (von der Familie) gewünschten Erfolg bringen.
Der
Herr wolle weiterhin, dass sich ausschließlich seine Familie um seine
Angelegenheiten kümmere. Die anwesenden Personen nickten das ab. Ich sollte
verschwinden. Okay, kein Gespräch ohne Gesprächsbereitschaft.
Nach
meiner Verabschiedung gab die Ehefrau dann vor, in den Keller zu gehen und
begleitete mich in den Hausflur.
Im
Gespräch wurde mehr als deutlich, dass diese emotional hoch belastet ist. Sie
berichtete, dass es immer wieder zu Schwierigkeiten komme. Auf der einen Seite
stünden die Kinder des Betroffenen, die gewisse Erwartungen an sie hätten was
die Rund-um-die-Uhr-Betreuung des Vaters angehe, auf der anderen Seite stünden
ihre eigenen Kinder, die sich um sie sorgen würden. Sie befinde sich immer
wieder in der Vermittlerrolle. Ihr Ehemann werde schnell aufbrausend und verbal
aggressiv - nicht nur ihr gegenüber. So sei es auch im Freundes- und
Bekanntenkreis bereits vorgekommen, dass sie habe vermitteln müssen, damit die
Situation nicht eskaliere. Auch würde er seine Kinder regelmäßig beschimpfen.
Dabei gehe es extrem unter die Gürtellinie.
Geschlagen
habe er sie nicht, doch sei es bereits vorgekommen, dass er ihr etwas hinterhergeworfen
habe. Anschließend täte es ihm leid. Die Kinder würden dieses Verhalten stets
mit der Demenz in Verbindung bringen. Das könne durchaus sein, doch sei ihr
Mann bereits früher schon ein schwieriger Charakter gewesen. Alles ließe sich
mit der Diagnose nicht entschuldigen. Sie wisse, dass es so nicht weitergehen
könne, doch habe sie sich bisher nicht dazu entschließen können, eine
Veränderung herbei zu führen.
Ohne
die Pflege seiner Frau wäre der Betroffene nicht in der Lage allein in einer
Wohnung zu leben. Er verlasse das Haus eigentlich nicht mehr, weil er Gehwagen
oder Stock nicht benutzen wolle. Die Frau versuche sich, um Kraft zu tanken,
Freiräume zu schaffen, in dem sie Kontakte innerhalb der Kirchengemeinde
pflege, aber auch zum Yoga und zum Chor gehe, sich mit Freunden und Bekannten
treffe. Auch diese hätten sie bereits darauf aufmerksam gemacht, dass es so
nicht weitergehe könne. Sie habe sich über verschiedene Möglichkeiten Gedanken
gemacht, bisher allerdings keine Lösung für sich gefunden. Auch sie halte meine
Hilfe nicht für das geeignete Mittel die Probleme zu lösen. Vielmehr sei es an
ihr selbst eine Entscheidung zu treffen, wie lange dieses System für sie noch
tragbar bzw. zu ertragen ist. Ich habe sie eindringlich gebeten sich
professionelle - außenstehende - Hilfe zu suchen. Sie habe dies schon für sich
überlegt und auch sämtliche Informationsmaterialien hierzu, habe aber bisher
niemandem zur Last fallen wollen. Sie wurde darauf hingewiesen, dass dies nicht
der Fall ist, wenn sie eine Beratungsstelle aufsucht, da Beratungsstellen den
konkreten Auftrag der Unterstützung haben. Wir sind so verblieben, dass ich
mich noch einmal schriftlich an sie wende (der Mann leert den Postkasten nicht)
und konkrete Anlaufstellen benenne, die sie kontaktieren möge. Bis sie sich
entschieden habe, wolle sie für ihren Mann sorgen.
Und,
was bleibt? Dankbarkeit nicht. Eher Frust, dass jemand Macht hat, weil alle mitMACHEN.
Und mir kein Mittel zur Verfügung steht, etwas ändern zu können, was ich als
extrem ungerecht und ungesund ansehe. Und da ist es wieder, das Aushalten-können,
nicht den eigenen Maßstab an das Leben anderer zu legen. Leben und leben
lassen. Auch, wenn es direkt ins Verderben führt.
Es
bleibt die Wut über Herrn Dr., den Sohn, und Frau Von und Zu, der Tochter, die
ihre Stiefmutter über die Klinge springen lassen und zur Gewissensberuhigung
einmal die Woche ihre osteuropäische Putzfrau zu Papi schicken und das als
Entlastung für die Stiefmutter verkaufen. Während man sich auf der eigenen
Terrasse in der Sonne aalt - Neubau in Hamburgs vornehmster Gegend - und Papi
gut versorgt weiß, wartet die Stiefmutter immer noch auf das Pflegegeld, das -
damit Papi sich nicht aufregt bei der Durchsicht der Kontoauszüge - auf dem
Konto des Sohnes geparkt werden sollte. Die Umleitung zur Person, der das
zusteht, findet das Geld bisher nicht.
Und
die Moral von der Geschicht: Welt retten ist so einfach nicht.
Und,
noch während ich im Büro saß und darüber nachdachte, ob es nicht doch ein
Schlupfloch gibt. eine Lösung, klingelte das Telefon und es meldete sich ein
Mensch, den ich vor zwei Wochen getroffen hatte. Er wolle sagen, dass die
Mutter, um die es sich gehandelt hatte, gestern Nacht verstorben sei, doch
wolle er sich noch einmal bedanken, für alles, was ich für ihn und die Familie
getan hätte. Sowohl er als auch sein Bruder hätten sich sehr gut aufgehoben
gefühlt.
DANKE!