Ich
weiß nicht, wie es anderen geht, aber ab und zu habe ich den Eindruck, dass ich
die einzige Bewohnerin dieses Planeten bin. Vielleicht ist das Teil meiner
Störung. Vielleicht bin ich irre. Wie lange dauert es denn vom Lagerkoller zum
chronifizierten Wahnsinn? Ich bin nämlich tatsächlich irritiert, ob einiger
Darstellungen, die mich so erreichen. Ich bin z.B. gerade aus einer
Gesichtsbuch-Gruppe für Alleinerziehende ausgetreten, weil ich nicht noch den
150. nicht umsetzbaren Tipp von Müttern zum Homeoffice haben wollte, die selbst
Pubertierende zu Hause haben und nicht begreifen, dass für einen Fünfjährigen
nicht die gleichen Maßstäbe angesetzt werden können. Zum Glück bin ich auch
nicht (mehr) bei Instagram, dann müsste ich ständig über Menschen sehen und
lesen, die raten, dass man diese Zeit doch einfach als wunderschöne
Familienzeit genießen soll und den Kindern nun endlich das Teppichknüpfen
beibringen kann. Und ich weiß nicht, ob Sie’s schon wussten, aber spüren Sie
nicht auch diese warme Welle der Solidarität, die durch das Land schwappt?
Fühlen Sie sich nicht auch entschleunigt? Tut uns allen das hier nicht auch so
richtig gut?
Und
ich so… Nee.
Homeoffice:
Seit vier Wochen bekommen wir jede Woche Freitag eine E-Mail, wie toll es doch
läuft und vorgestern kam dann wieder eine und ich war kurz davor mich auf meine
Tastatur zu übergeben, obwohl ja erst Donnerstag war. Ich zitiere: „Mein Dank
gilt Ihnen allen weiterhin für Ihr andauerndes und ausdauerndes Verständnis und
den Willen, gemeinsam diese Zeit zu bewältigen! Insbesondere will ich hier
hervorheben, dass die Flexibilität und der Einsatz aller Kolleginnen und
Kollegen in allen Bereichen ein gutes Zeichen ist und mich sehr stolz macht.“
Herzlichen Glückwunsch.
Wo
soll ich da anfangen?? Ich arbeite im Moment, weil ich dazu gezwungen bin. Es
sind alle ins Homeoffice geschickt worden, in einem Job, der überhaupt nicht im
Homeoffice zu machen ist. Und bei dem Versuch das doch irgendwie zu schaffen,
bin ich gedanklich den ganzen Tag dabei zu arbeiten und Lücken zu suchen, in
denen ich gerade nicht das Kind betreuen muss. Die einzigen Lücken, die ich
ausfindig machen konnte, sind Nachtschlaf und Filme gucken. Und Filme gucken
wirkt auch nur so lange der Film läuft und nicht zufällig das W-LAN wieder
abkackt und das Kind in ein Telefonat platzt mit Jemandem, der Kinder nicht so
mag. Es muss auch ein Naturgesetz sein, dass gerade, wenn der Eindruck
entstanden ist, das Kind würde sich vertieft einer Beschäftigung hingeben, die
Mutter dann aber telefoniert, das Kind ein SOFORT zu bearbeitendes Bedürfnis
hat.
Den
Arbeitsplatz musste ich im Wohnzimmer einrichten. Da spielt das Kind. Und dann
habe ich neulich ein stundenlanges Gespräch mit einem Betroffenen übers Handy
geführt und meine gesamten Telefonminuten verbraten – am Fenster stehend im
Schlafzimmer. Und, da dachte ich, dass ich diesen ganzen Arbeitskram überhaupt
nicht in der Wohnung haben will. Es war jedenfalls ein totales Scheißgefühl,
als der Typ anfing von einer tabakverseuchten Erwachsenenspielzeugpumpe, die
die (fiktiven) Einbrecher hinterlassen hatten, zu erzählen und das Kind im
Wohnzimmer Kinderlieder mitsang, die gerade im Film liefen. Ich will auch nicht
ständig die Problemberge in Form von Aktenbergen in meinem Wohnzimmer sehen und
beim Essen mit dem Kind darüber nachdenken, ob jetzt schon Eigen- oder
Fremdgefährdung bei Herrn XY besteht und ich noch mal schnell was in die Wege
leiten müsste, weil ich einfach auch nicht will, dass ich vor meinem Spatzi in
einem Telefonat Dinge kommunizieren muss, für die ich teilweise selbst
Supervision bräuchte. Und der Stapel wird wöchentlich größer, jedenfalls wird
mir digital schon angekündigt, dass neue Fälle im Büro warten, die ich aber nur
heimlich aus dem Büro holen darf, weil der Chef nicht will, dass man Kinder
mitbringt. So sind meine letzten Sonntagsausflüge Ausflüge ins Büro gewesen. In
der ersten Woche hatte ich mir noch eingebildet, eine Weile würde ich noch was
schaffen können, wenn das Kind abends schläft. Theoretisch ja, aber praktisch
schaffe ich gar nichts, weil ich geschafft bin. Ja, es läuft; es läuft auf
meinem Rücken und auf dem meines Kindes.
Solidarität:
Ich habe mich in der letzten Woche zweimal abgefreundet im Gesichtsbuch. Ja,
ich kann das auch. Sonst heißt es immer „Mami, ich bin nicht mehr dein Freund“.
Aber diesmal hab ich gesagt „Ich bin nicht mehr deine Freundin“. Bei
Zweien, die mit ihren Neuigkeiten ständig auf meiner Startseite aufploppten,
hatte ich nun endgültig die Schnauze voll – von geteilten
Verschwörungstherorien zum Virus, von
Jetzt-müssen-wir-auch-noch-den-Ausländern-helfen-wir-haben-selbst-genug-Probleme
und An-allem-sind-die-Juden-schuld… Wenn ich auf eins Bock hab bei all dem
Scheiß, dann darauf, dass noch mehr Scheiß verbreitet wird, schneller als
Carola Corona laufen kann.
Bei
‚laufen kann‘ fällt mir ein, dass unser Hausmeister vor einigen Wochen in den
Hausflur einen Zettel geklebt hat, in dem Nachbarn aufgefordert werden, sich
einzutragen, wenn sie für andere Nachbarn in der Krise hilfreich sein wollen
und können, z.B. Einkäufe für Menschen erledigen, die selbst besser nicht
einkaufen gehen sollten. Der Zettel war bis gestern leer. Bei uns kauft man
auch nicht für Oma Müller oder Muddi Meyer ein, bei uns finden innerhalb von
einer Woche vier Polizeieinsätze im Haus statt, wobei jeder mit einem größeren
Polizeiaufgebot stattfindet. Alle drehen durch. Und gern auch die Musik auf.
Leider ist es ein Naturgesetz, dass Nachbarn grundsätzlich einen schlechten
Musikgeschmack haben. Und ein Fakt, dass wir in einem Haus wohnen, in dem man
den Nachbarn akustisch völlig ausgeliefert ist.
Und
manchmal find ich es fast schade, dass man sich mit Familienmitgliedern nicht
abfreunden kann – zumindest wenn die einem am Telefon erzählen, dass sie gerade
am Feldrand joggen waren, es so herrliches Wetter ist und sie sich gleich auf
die Terrasse setzen, grillen und abends ein Feuerchen machen UND sie dann den
Monolog damit beenden… „Insofern ist mir ziemlich egal, was in der Stadt so los
ist. Davon kriegen wir hier ja nichts mit!“
Familienzeit:
Das ist die Zeit, die vom Tag übrigbleibt, nachdem ich Homeoffice und
Solidarität subtrahiert hab. Und da gehen wir dann einkaufen oder machen andere
Nützlichkeitsdinge, die nicht aufzuschieben sind. Und das ist dann der Punkt am
Tag (zum Glück nicht jeden Tag), an dem Mami nicht mehr der Freund ist. Denn
Mami kann ganz schlecht damit umgehen, wenn das Kind auf Ampelschalter drückt
oder die Lippen zum Griff des Einkaufswagens führt, sich anschließend die
Finger ablecken will, den Kopf kratzt oder die Augen scheuert. Da ermahnt Mami
dann… ganz viel. Dabei kann das Kind nichts dafür, denn ein Kind kann diese
blöden Hygieneregeln in dem Alter überhaupt nicht verstehen oder konsequent
umsetzen. Aber ein Kind kann in dem Alter eben auch noch nicht allein zu Hause
bleiben. Am Ende des Einkaufs und nach dem Wutausbruch des Kindes trage ich
dann selbiges nebst 38,5 Einkaufstaschen nach Hause, damit wir da nicht so schnell
wieder hinmüssen. In der restlichen Zeit versuchen wir uns beim Rollerfahren
oder Spazierengehen an halbwegs attraktiven Orten in der Stadt im Social
Distancing. Wir gärtnern auf dem Balkon, auf den wir zu zweit kaum passen. Wir
malen Oma Bilder und schicken sie ihr per Post. Wir backen ganz viel und
denken uns selber Spiele aus. Und dann stellen wir fest, dass wir seit vier
Wochen jeden Tag 24 Stunden am Tag zusammen waren und uns der Auslauf
voneinander getrennt und der Kindergarten fehlt und dann heult einer sehr laut
und die andere ein bisschen innerlich und dann Essen wir Eis, kuscheln und
backen noch mehr Kuchen und färben Eier. Und dann ist irgendwann 21:00 Uhr und
das Kind schläft (verflucht sei die Sommerzeit). Niemand redet und hüpft oder will
Pinguin spielen. Stille. Feierabend. Bettzeit.
Und
dann singt in der Wohnung über uns Helene Fischer.